Die Unionsfraktion will nach der Bundestagswahl die jüngste Wahlrechtsreform wieder rückgängig machen. „Wir werden keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, in dem nicht steht, dass die Wahlrechtsreform wieder abgeschafft wird“, sagte Unionsfraktionsvize Johann Wadephul (CDU) der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese widersprach vehement: Die Union wolle „zurück zu einem XXL-Bundestag“, sagte er am Mittwoch AFP. Ähnlich äußerte sich der Grünen-Wahlrechtsexperte Till Steffen.
Die Wahlrechtsreform war 2023 von der Ampel-Koalition mit dem Ziel verabschiedet worden, den mit aktuell 733 Abgeordneten auf Rekordgröße angewachsenen Bundestag verlässlich zu verkleinern. Im vergangenen Sommer kippte das Bundesverfassungsgericht die in der Reform vorgesehene Abschaffung der Grundmandatsklausel, billigte aber die übrigen Änderungen.
Die wichtigste Neuerung ist die sogenannte Zweitstimmendeckung. Demnach können Parteien lediglich so viele Abgeordnete ins Parlament schicken, wie es ihrem Zweitstimmenergebnis entspricht. Das kann dazu führen, dass jemand zwar den Wahlkreis gewinnt, letztlich aber nicht in den Bundestag einzieht.
In so einem Fall „werden sich viele Wähler und Wahlkämpfer geleimt fühlen“, sagte Wadephul voraus. Er schlug stattdessen weniger und dafür größere Wahlkreise vor, um die Zahl der Abgeordneten zu senken. Die Rücknahme der Reform sei für die Union „eine conditio sine qua non“, also eine unverhandelbare Bedingung, sagte Wadephul. Dies werde auch im Wahlprogramm stehen.
„Die Union lässt jetzt die Maske fallen“, sagte SPD-Fraktionsvize Wiese dazu der Nachrichtenagentur AFP. „Sie will zurück zu einem XXL-Bundestag“. Das sei „mit der SPD nicht zu machen“. Wiese betonte, dass es die Union gewesen sei, „die jahrelang eine echte Wahlrechtsreform verhindert hat. Eine Reform wurde in dieser Regierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz überhaupt nur möglich, da CDU/CSU in der Opposition waren und es nicht erneut verhindert konnten.“
Der Grünen-Parlamentsgeschäftsführer Steffen sagte AFP, Wadephuls Äußerungen zeigten, „warum eine Verkleinerung des Bundestages zehn Jahre lang insbesondere an der CSU gescheitert ist. Die Union fällt gerade vor allem durch Ideen auf, was sie alles rückgängig machen will.“
Dass der Bundestag „wieder vergrößert wird, schließe ich jedenfalls aus“, fügte Steffen hinzu. „Das wollen die Menschen nicht.“ Steffen war an der Aushandlung der Wahlrechtsreform beteiligt gewesen.
Der Verein Mehr Demokratie forderte, bei diesem Thema das Wahlvolk stärker einzubinden. „Wenn es um den Kern der demokratischen Mitbestimmung geht, müssen die Perspektiven der Wählerinnen und Wähler mit einbezogen werden“, erklärte Vorstandssprecher Ralf-Uwe Beck. „Das gelingt in einem Bürgerrat.“ Ein solches Gremium sei insbesondere deshalb sinnvoll, weil Parteien beim Wahlrecht in eigener Sache entscheiden.
Zufällig ausgeloste Bürgerinnen und Bürger könnten unter anderem Vorschläge dazu erarbeiten, wie Überhangmandate vermieden werden können, und sich mit der Frage beschäftigen, ob die Sperrklausel von fünf Prozent noch zeitgemäß ist, führte der Verein aus. Auch andere Aspekte zur Modernisierung des Wahlrechts könnten eine Rolle spielen, beispielsweise die Frage, ob Briefwahlunterlagen automatisch an alle Wahlberechtigten verschickt werden sollten.
Mehr Demokratie hatte im Namen von mehreren tausend Privatpersonen gegen die Wahlrechtsreform geklagt – konkret gegen die Abschaffung der Grundmandatsklausel. Dies war erfolgreich. Bereits 2011 hatte sich der Verein vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das damalige Wahlrecht gewandt, ebenfalls mit Erfolg.
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