In der Debatte um die Stationierung weitreichender US-Raketen in Deutschland hat Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) entsprechende Pläne gegen Kritik verteidigt. Russlands Präsident Wladimir Putin habe „das Arsenal, mit dem er unsere Freiheit in Europa bedroht, kontinuierlich ausgebaut“, sagte Baerbock den Funke-Zeitungen vom Sonntag. „Dagegen müssen wir uns und unsere baltischen Partner schützen, auch durch verstärkte Abschreckung und zusätzliche Abstandswaffen.“ Zuvor hatte unter anderem SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich Bedenken gegen die Raketen-Stationierung geäußert.
Baerbock warnte vor Naivität gegenüber „einem eiskalt kalkulierenden Kreml“. Die Außenministerin verwies darauf, dass Putin schon vor Jahren „mit Abrüstungsverträgen und unserer gemeinsamen europäischen Friedensarchitektur gebrochen“ habe. „Er will uns damit Angst machen, unter Druck setzen und unsere Gesellschaften spalten.“ Zwar wolle Deutschland eine andere Beziehung zu Russland, aber die traurige Wahrheit sei, so Baerbock: „Putins Russland ist derzeit die größte Sicherheitsgefahr für uns und unseren Frieden in Europa.“
Baerbocks Parteikollege, der Europapolitiker Anton Hofreiter (Grüne) wies Bedenken gegen die Stationierungspläne ebenfalls zurück. „Zu einer Eskalation würde eine Stationierung von US-Raketen in Deutschland nicht führen“, sagte Hofreiter den Funke-Zeitungen. Im Gegenteil könne die Stationierung „einen Beitrag zu mehr Sicherheit liefern“.
Damit widersprach Hofreiter dem SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. „Wir müssen unsere Verteidigungsfähigkeit angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine verbessern, aber wir dürfen die Risiken dieser Stationierung nicht ausblenden“, sagte er den Funke-Zeitungen. „Die Raketen haben eine sehr kurze Vorwarnzeit und eröffnen neue technologische Fähigkeiten. Die Gefahr einer unbeabsichtigten militärischen Eskalation ist beträchtlich.“
Das Nordatlantikbündnis Nato verfüge auch ohne die neuen Systeme über eine umfassende, abgestufte Abschreckungsfähigkeit, fügte Mützenich hinzu. „Mir erschließt sich auch nicht, warum allein Deutschland derartige Systeme stationieren soll. Unter Lastenteilung habe ich bisher etwas anderes verstanden.“
Unterstützung bekam Mützenich am Wochenende von seinem Parteikollegen Ralf Stegner. „Wer Stimmen wie die von Rolf Mützenich überhört oder gar diffamiert, bereitet Populisten den Boden, denen es gar nicht um Frieden geht, sondern darum, Autokraten zu unterstützen“, sagte der Außenpolitiker dem „Tagesspiegel“.
Zeitenwende heiße Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit, auch Wehrhaftigkeit, betonte Stegner. Aber: „Zeitenwende heißt nicht, dass wir anfangen müssen, in der ganzen Welt aufzurüsten. Es heißt nicht, dass Abrüstung von gestern ist und wir der Rüstungsindustrie jeden Wunsch von den Augen ablesen. Es heißt auch nicht, dass wir Waffen in die ganze Welt exportieren und glauben, das wäre die neue Wirtschaftspolitik.“
Kritik bekam Mützenich dagegen vom Koalitionspartner FDP. Der Außenpolitiker Ulrich Lechte sagte dem „Tagesspiegel“: „Wir sollten den Amerikanern dankbar sein, dass sie auch weiterhin bereit sind, im Rahmen der Nato Europas Sicherheit zu gewährleisten.“ Mit Blick auf die Friedensbewegung der 1980er-Jahre und die damaligen Massendemonstrationen in Bonn kritisierte Lechte: „Rolf Mützenich ist und bleibt im Schützengraben des Bonner Hofgartens und führt ewiggestrige Debatten.“
Auch Unions-Vizefraktionschef Johann Wadephul (CDU) übte scharfe Kritik an den Aussagen des SPD-Fraktionschefs: „Mützenich verwechselt erneut Ursache und Wirkung: Uns bedrohen russische Langstreckenraketen, die im Gebiet Kaliningrad stationiert sind. Ohne die neuen US-Systeme sind wir schutzlos und mindestens erpressbar“, sagte er dem „Tagesspiegel“. „Mützenichs antiamerikanischer Reflex ist ein wiederkehrendes Muster. Er lebt in einer eigenen Welt, die mit der Realpolitik des Kanzlers nur noch wenig gemeinsam hat.“
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