Der Verkehrssektor in Deutschland hat die Klimaziele im vergangenen Jahr deutlich verfehlt – dies hat der Expertenrat für Klimafragen in seinem Prüfbericht zur Berechnung der deutschen Treibhausgasemissionen 2023 bestätigt. Die Überschreitung der CO2-Emissionen im Verkehrsbereich könne als „praktisch sicher gelten“, sagte der Expertenrats-Vorsitzende Hans-Martin Henning am Montag bei der Präsentation. Klimaverbände und -organisationen forderten von der Bundesregierung wirksame verkehrspolitische Maßnahmen zur Reduzierung der Emissionen.
Die Wissenschaftler bestätigen in ihrem Bericht die Zahlen des Umweltbundesamts vom März, wonach die Treibhausgasemissionen 2023 insgesamt sektorübergreifend gegenüber dem Vorjahr deutlich gesunken waren. Der Expertenrat weist zwar darauf hin, dass die Zahlen des Umweltbundesamts zu einem sehr frühen Zeitpunkt veröffentlicht wurden und daher „Unsicherheitsfaktoren“ und „Datenlücken“ aufweisen. Dennoch sei die Berechnung „grundsätzlich nachvollziehbar“.
So bestätigt der Expertenrat den starken Rückgang der Emissionen im Jahr 2023 gegenüber dem Vorjahr um rund zehn Prozent von 750 auf 674 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten. Dies sei der höchste prozentuale Rückgang binnen eines Jahres seit 1990. Die Wissenschaftler kommen zu dem Ergebnis: „Das implizite Ziel für die Gesamtemissionen wurde damit erreicht.“
Den größten Beitrag für die sinkenden Emissionen leisteten demnach der Energie-Sektor (minus 20 Prozent) und die Industrie (minus acht Prozent). Beide Bereiche hielten ihre Klimaziele ein. Der Expertenrat sieht allerdings die schwache Wirtschaftsleistung als Hauptgrund. Dadurch seien die Produktion und die Strom-Nachfrage in der energieintensiven Industrie stark gesunken.
Im Gebäude-Sektor stünden sich in der Berechnung eine nur sehr geringe Überschreitung der Ziele und eine große Unschärfe gegenüber, sodass hier keine klare Aussage getroffen werden könne. Eine milde Witterung und eine Zurückhaltung beim Heizen wegen der hohen Energiekosten hätten hier zu einer leichten Minderung der Emissionen geführt. Das Umweltbundesamt war in seinen Zahlen noch von einem Verfehlen der Vorgaben im Bau-Sektor ausgegangen.
Die Experten stellten auch eine Berechnung an, wie hoch mutmaßlich der Ausstoß von Treibhausgasen ohne die Wirtschaftsflaute und die milde Witterung gewesen wäre. Demnach wären die Treibhausgasemissionen dann um 74,3 Millionen Tonnen höher ausgefallen, also etwa auf Vorjahresniveau verblieben. Der Zielwert wäre damit deutlich überschritten worden.
Im Verkehrs-Sektor wurden die Vorgaben zum dritten Mal in Folge verfehlt. Dies sei vor allem auf den Pkw-Bereich zurückzuführen, während der Güter-Verkehr per LKW durch die konjunkturelle Schwäche weniger CO2 freigesetzt habe, betonen die Wissenschaftler. Im Verkehrssektor sei laut Gesetz ein Sofort-Programm notwendig, um die Klimaziele zu erreichen.
Die Regelung der gesetzlichen Klimavorgaben will die Regierung allerdings so reformieren, dass die Ziele nur noch insgesamt eingehalten werden müssen und nicht mehr in jedem Sektor. Da dies bisher nicht passiert ist, hatte Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) vergangene Woche mit Fahrverboten gedroht – und damit eine hitzige Debatte in- und außerhalb der Ampel-Koalition ausgelöst. Ein Sprecher des Verkehrsministeriums zeigte sich am Montag nun aber zuversichtlich, dass sich das parlamentarische Verfahren über die geplante Novelle „schnell abschließen lässt“.
Umwelt- und Klimaverbände kritisierten Wissing für den Fahrverbots-Vorstoß und forderten entschiedene andere Klima-Maßnahmen beim Verkehr. Lutz Weischer sprach sich etwa für einen Umbau des Dienstwagenprivilegs, ein Bonus- und Malus-System bei der Kfz-Steuer sowie ein Tempolimit aus. Stefanie Langkamp von der Klima-Allianz Deutschland ergänzte: „Der Ausbau von Bus und Bahn braucht mehr Zeit und eine gute Planung.“
Viviane Raddatz vom WWF kritisierte, dass im Verkehrssektor „aktuell Klimapolitik durch Polemik ersetzt“ werde. „Anstatt Maßnahmen umzusetzen, die direkt Wirkung zeigen würden – etwa das Tempolimit oder der Ab- und Umbau klimaschädlicher Subventionen wie der Dienstwagenbesteuerung – verbreitet der Verkehrsminister Verunsicherung durch Falschaussagen zum Klimaschutzgesetz.“
Barbara Metz von der Deutschen Umwelthilfe nannte die Fahrverbots-Debatte „durchschaubar“. „Wir fordern SPD und Grüne auf, sich nicht erpressen zu lassen, sondern stattdessen jetzt sofort ein Tempolimit 100/80/30 einzuführen, das mehr als 11 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr einsparen würde“, verlangte Metz.
© AFP