Union, AfD, BSW und auch die FDP forderten am Donnerstag den Kanzler auf, dazu schon kommende Woche die Vertrauensfrage im Bundestag zu stellen – und nicht erst im Januar. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier appellierte an die staatspolitische Verantwortung aller Beteiligen. Er entließ wie geplant drei FDP-Minister der bisherigen Ampel-Regierung.
Die Ampel-Koalition sei „gescheitert“, und damit sei die Legislaturperiode zu Ende, sagte Unions-Fraktionschef Friedrich Merz (CDU). Er schlug schlug Neuwahlen für den Bundestag in der zweiten Januarhälfte vor. Deutschland könne es sich nicht leisten, über mehrere Monate eine Bundesregierung zu haben, die keine Mehrheit mehr im Bundestag hat.
„Die Lage für das Land und die Demokratie sind ernst wie nie“, sagte CSU-Chef Markus Söder. Eine Hängepartie zu Wahlterminen werde das Vertrauen in die Demokratie zusätzlich beschädigen.
Doch Scholz will nach dem Zerbrechen der Koalition am Streit um die Wirtschafts- und Haushaltspolitik vorerst mit den Grünen in einer Minderheitsregierung weiterregieren. Bis Weihnachten will er noch mehrere ihm wichtige Gesetzesvorhaben durch das Parlament bringen. Erst Mitte Januar plant der Kanzler dann, im Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen, um Wahlen „spätestens bis Ende März“ möglich zu machen.
Die rot-grüne Regierung werde ihr Amt „mit vollem Pflichtbewusstsein ausüben“, sagte Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) am Donnerstag. „Wir sind im Amt, wir können Entscheidungen treffen und wir werden Entscheidungen treffen.“ Habeck räumte aber ein, dass das rot-grüne Bündnis in der Regel nicht mit Unterstützung von CDU/CSU oder FDP rechnen könne – „punktuell“ würde er dies aber begrüßen.
„Das Personalchaos in der Ampel zeigt, dass Neuwahlen keinen Aufschub dulden“, sagte hingegen BSW-Chefin Sahra Wagenknecht der Nachrichtenagentur AFP. „Der Kanzler hat längst jede Kontrolle verloren. Keinem Bürger ist dieses Chaos noch vermittelbar.“
FDP-Chef Lindner, den Scholz am Mittwochabend entlassen hatte, sprach sich gleichfalls für „die sofortige Vertrauensfrage und Neuwahlen“ aus. Dies sei nicht nur „für die Demokratie wichtig (…) „Unser Land darf keine Zeit verlieren.“
AfD-Chefin Alice Weidel hatte schon am Mittwochabend Scholz aufgefordert, umgehend die Vertrauensfrage zu stellen, „um den dringend notwendigen Neustart für unser Land zu ermöglichen“. Am Donnerstag rief sie Union und FDP auf, sich mit der AfD zu verständigen, um eine „Regierung ohne SPD und Grüne zu ermöglichen“.
Rufe nach baldigen Neuwahlen kamen auch aus der Wirtschaft: Es müsse „baldmöglichst Neuwahlen“ geben, erklärte die Präsidentin des Automobilverbands VDA, Hildegard Müller. „Weiteren Stillstand kann Deutschland sich in dieser Lage nicht leisten.“ Ähnlich kritisch äußerte sich der Präsident des Industrieverbands BDI, Siegfried Russwurm: „Angesichts der weltpolitischen Lage und der schlechten wirtschaftlichen Entwicklung des Standorts Deutschland brauchen wir jetzt so schnell wie möglich eine neue, handlungsfähige Regierung“.
Auch im Ausland löste eine mögliche politische Handlungsunfähigkeit des größten EU-Landes Sorge aus: „Europa ist nicht stark ohne ein starkes Deutschland“, sagte EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola. Der finnische Regierungschef Petteri Orpo nannte schnelle Neuwahlen in Deutschland „sehr wichtig“.
Steinmeier überreichte am Nachmittag den FDP-Ministern ihre Entlassungsurkunden. Nach Lindners Rauswurf hatten auch Justizminister Marco Buschmann und Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger ihren Rücktritt erklärt.
Neuer Bundesfinanzminister wurde der bisherige Wirtschaftsberater von Scholz im Kanzleramt, Jörg Kukies. Auf eigenen Wunsch im Amt blieb der bisherige liberale Verkehrsminister Volker Wissing, der dazu aus der FDP austrat und fortan parteilos bleiben will. Der frühere Richter übernimmt nun zusätzlich auch das Justizressort. Für das Ministerium für Bildung und Forschung soll fortan Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) in Doppelfunktion zuständig sein.
Steinmeier appellierte nach dem Bruch der „Ampel“ an die Verantwortung aller Beteiligten. „Ich erwarte von allen Verantwortlichen, dass sie der Größe der Herausforderungen gerecht werden“, sagte er am Vormittag in Schloss Bellevue. Nun sei „nicht die Zeit für Taktik und Scharmützel“, sondern für „Vernunft und Verantwortung“. Viele Menschen im Land blickten mit Sorge auf die politischen Ereignisse.
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