Düsseldorf – Die Stadtarchäologie des Instituts für Denkmalschutz und Denkmalpflege im Düsseldorfer Bauaufsichtsamt hat in den vergangenen Jahren zusammen mit dem Steinzeit-Spezialisten Wolfgang Heuschen, dem LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland, der Stadtarchäologie Duisburg und zahlreichen ehrenamtlich engagierten Bürgerinnen und Bürgern eine archäologische Fundstelle in Düsseldorf-Angermund näher erforscht. Bei der Jahrestagung des LVR-Amtes für Bodendenkmalpflege im Rheinland in dieser Woche werden die Untersuchungsergebnisse der Fachwelt vorgestellt. Die wichtigste Erkenntnis lautet: Angermund wurde bereits in der Spätphase der letzten Eiszeit vor rund 13.000 Jahren, die von massiven Klimaveränderungen geprägt war, von Menschen aufgesucht.
Den entscheidenden Beleg dafür lieferten mehrere Bruchstücke sogenannter „Federmesser“. Entdeckt wurde der Fundplatz vom ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger Thomas van Lohuizen. Bei Spaziergängen – und anschließenden gezielten Begehungen – auf einem Feld hatte er die steinzeitlichen Gegenstände aufgelesen und ordnungsgemäß der Stadtarchäologie gemeldet. Bei „Federmessern“ handelt es sich – anders, als der Name vermuten lässt – um Pfeilspitzen aus Feuerstein. Die Bezeichnung rührt von der Ähnlichkeit zu neuzeitlichen Messerklingen her, die zum Anspitzen von Federkielen dienten. Die charakteristischen Feuerstein-Spitzen wurden ausschließlich von Angehörigen der sogenannten Federmesser-Gruppen verwendet, die während der Spätphase der letzten Eiszeit große Teile Mitteleuropas besiedelten.
Die „Federmesser“ waren bei weitem nicht die einzigen steinzeitlichen Funde, die wissenschaftliche Aufmerksamkeit erlangten. Insgesamt wurden rund 850 kleine und kleinste Bruchstücke von Feuersteinartefakten entdeckt. Sie weisen auf vielfältige Tätigkeiten der späteiszeitlichen Jäger und Sammler hin. Die am Fundort entdeckten Werkzeugformen legen nahe, dass dort Holz, Tierhäute und Felle, Geweihe und Knochen bearbeitet wurden sowie Nahrung aller Art zubereitet wurde. Hinzu kommen noch charakteristische Bearbeitungsabfälle, welche die Herstellung von Feuersteingeräten vor Ort bezeugen.
Relikte eiszeitlicher Lagerplätze erhalten?
Alle bislang vorliegenden Funde wurden an der Oberfläche entdeckt. Ihre große Anzahl lässt es möglich erscheinen, dass sich ungestörte Erdschichten aus dem Spätpaläolithikum im Boden befinden. Darin eingebettet könnten sich, neben weiteren Feuersteinartefakten, Reste von Feuerstellen, Tierknochen und -zähne erhalten haben, wie sie unter anderem im circa 75 Kilometer entfernten Wesseling gefunden wurden. Solche äußerst seltenen, archäologischen Befunde gewähren umfangreiche Einblicke in die Lebensweise der altsteinzeitlichen Menschen. Um sie zu lokalisieren, wurde das Fundareal im Spätsommer 2023 systematisch von einem großen Team aus Fachleuten und ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern abgesucht. Dabei wurden rund 150 Feuersteinfunde aufgelesen, darunter ein weiteres „Federmesser“. Die Konzentration der Funde in einer etwa 300 Meter langen Zone weist auf mehrere kleine Lagerplätze der späteiszeitlichen Jäger und Sammler hin, von denen sich noch ungestörte Erdschichten im Boden erhalten haben könnten. Hier sollen weitere Geländeuntersuchungen zukünftig ansetzen.
Klimawandel am Ende der letzten Eiszeit
Infolge der allmählichen Erwärmung der Erdatmosphäre nach dem Höhepunkt der letzten Eiszeit setzte in der nördlichen Hemisphäre vor rund 15.000 Jahren ein äußerst dramatischer Klimawandel ein. Komplexe Wechselwirkungen zwischen Sonneneinstrahlung, Eisschmelze, Meeresströmungen und vielen anderen Faktoren bewirkten eine schnelle Abfolge von Kalt- und Warmphasen mit Übergangszeiten von mitunter nur wenigen Jahrzehnten. Damit einher gingen tiefgreifende Veränderungen von Landschaft und Umwelt, welche die Menschen zu immer neuen Anpassungen ihrer Lebens- und Wirtschaftsweisen zwangen.
Eine dieser kurzen Warmphasen vom Ende der letzten Eiszeit ist – benannt nach einer Fundstelle aus Dänemark – als Allerød-Interstadial bekannt. Sie begann vor circa 13.900 Jahren. Durch die klimatischen Verhältnisse begünstigt, breiteten sich zu dieser Zeit Birken- und Kiefernwälder in Mitteleuropa aus. Die Waldfauna – vor allem Rothirsch, Elch, Wildpferd und Reh – diente als Nahrungsquelle für die Jäger- und Sammlergemeinschaften der „Federmesser-Gruppen“. Im Gegensatz zu den Wildbeuter-Gemeinschaften der vorangegangenen Jahrtausende, dem Zeitalter des Magdaléniens, die große, über lange Zeiträume genutzte Lagerplätze unterhielten, lebten sie wahrscheinlich in kleinen, hochmobilen Gruppen. Sie verwendeten erstmals Pfeil und Bogen. Mit ihnen sind auch die ersten Hunde im Rheinland belegt. Schmuck- und Kunstgegenstände, die kennzeichnend für das Magdalénien waren, sind von den „Federmesser-Gruppen“ kaum bekannt.
Um etwa 12.700 v. Chr. endete das Allerød-Interstadial. Mit der deutlichen Abkühlung des Klimas verschwanden auch die „Federmesser-Gruppen“ aus Düsseldorf-Angermund. Allerdings blieb das Gelände nicht dauerhaft unbesiedelt: wie weitere Funde belegen, wurde es in der Jungsteinzeit (5.300-2.150 v. Chr.) und vorrömischen Eisenzeit (800-15 v. Chr.) erneut von Menschen aufgesucht.
Naturwissenschaftliche Untersuchungen zur Landschaftsgeschichte
Im Rheinland suchten die späteiszeitlichen Jäger und Sammler bevorzugt die Umgebung von Fließgewässern auf, wo das Nahrungsangebot besonders reichhaltig gewesen sein dürfte. Letzteres wird auch durch die Fundstelle aus Düsseldorf-Angermund bestätigt: in der Nähe befindet sich ein verlandeter Mäander des eiszeitlichen Rheins, der sich noch heute als Senke im Gelände abzeichnet. Pollen- und Pflanzenreste aus solchen Altgewässern können Aufschluss über die lokale Landschafts- und Klimageschichte geben – und damit über die Umwelt, welche die ersten Siedler in Düsseldorf-Angermund vorfanden. Daher wurden von der Stadtarchäologie Düsseldorf in Zusammenarbeit mit der Geoarchäologin Prof. Dr. Renate Gerlach vom LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland Bohrungen veranlasst. Dabei konnten Proben aus späteiszeitlichen Ablagerungen gewonnen werden. Sie werden zurzeit im Labor für Archäobotanik der Universität zu Köln auf die mögliche Erhaltung von Pollen und Pflanzenresten hin untersucht.
Was macht eigentlich eine Stadtarchäologie?
Die Stadtarchäologie umfasst das Sachgebiet Bodendenkmalpflege des Instituts für Denkmalschutz und Denkmalpflege beziehungsweise der Unteren Denkmalbehörde, angesiedelt im Bauaufsichtsamt der Landeshauptstadt Düsseldorf. Sie kümmert sich auf Grundlage des Denkmalschutzgesetzes NRW um Schutz und Pflege archäologischer Denkmäler im Stadtgebiet. Dazu gehört auch, die oft noch weitgehend unbekannt im Boden verborgen liegenden Denkmäler näher zu erforschen und die daraus resultierenden Erkenntnisse mit interessierten Bürgerinnen und Bürgern zu teilen.