Fast 18 Jahre nach der Fußballweltmeisterschaft hat vor dem Landgericht Frankfurt am Main der Prozess um das sogenannte Sommermärchen 2006 in Deutschland begonnen. Das Verfahren startete am Montag mit der Anklageverlesung. Vor Gericht stehen drei ehemalige ranghohe Funktionäre des Deutschen Fußballbunds (DFB) wegen Steuerhinterziehung im besonders schweren Fall.
Die Staatsanwaltschaft wirft den früheren DFB-Präsidenten Wolfgang Niersbach und Theo Zwanziger sowie dem ehemaligen DFB-Generalsekretär Horst Schmidt vor, die Abgabe falscher Steuererklärungen im Umfeld der Fußball-WM der Männer veranlasst zu haben. Dadurch seien Körperschaft-, Gewerbe- und Umsatzsteuern sowie Solidaritätszuschläge für 2006 in Höhe von mehr als 13,7 Millionen Euro nicht gezahlt worden.
Ein für die Organisation verantwortliches Komitee soll der Anklage zufolge 2005 rund 6,7 Millionen Euro erhalten haben. Dieses Geld habe der DFB im Jahresabschluss als Betriebsausgabe für eine WM-Gala geltend gemacht. Die WM-Gala fand nie statt – tatsächlich soll ein anderer Zweck zugrunde gelegen haben.
Die Zahlung habe daher nicht steuermindernd verbucht werden dürfen. Stattdessen habe das Geld der Rückführung eines Darlehens gedient, das der damalige Vorsitzende des Komitees, der mittlerweile gestorbene Franz Beckenbauer, 2002 beim ebenfalls mittlerweile verstorbenen Unternehmer Robert-Louis Dreyfus privat aufgenommen habe.
„Die unrichtigen Steuererklärungen waren den Angeklagten bekannt und bewusst“, hieß es in der Anklage. Ihnen sei auch bewusst gewesen, dass die Rückführung des Privatdarlehens auf Kosten des Organisationskomitees steuerliche Auswirkungen für den DFB gehabt hätten.
Das Verfahren hat eine lange Geschichte: Das Landgericht Frankfurt hatte das Verfahren in der Vergangenheit zweimal eingestellt, unter anderem mangels hinreichenden Tatverdachts. Auf Beschwerden der Staatsanwaltschaft hin brachte das Oberlandesgericht das Verfahren aber wieder ins Rollen. ,Ursprünglich war auch der ehemalige Fifa-Generalsekretär Urs Linsi wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung angeklagt. Das Verfahren gegen ihn wurde aber zwischenzeitlich gegen die Zahlung einer Geldauflage eingestellt. Er wird von der Staatsanwaltschaft nun als Zeuge geführt.
Die Verteidiger von Zwanziger, Niersbach und Schmidt kritisierten am Montag die Wiederaufnahme des Verfahrens. Einer forderte dessen Einstellung und begründete dies mit einem Verfahren vor einem Gericht in der Schweiz wegen Betrugs, das 2021 wegen Verjährung eingestellt worden war.
Niemand dürfe laut Gesetz wegen identischer Vorwürfe zweimal verurteilt werden. Da es sich um dieselben Vorwürfe handle, gebe es ein „nicht behebbares Verfahrenshindernis“. Das Oberlandesgericht hatte die Wiederaufnahme des Verfahrens in Frankfurt damit begründet, dass es sich um unterschiedliche Vorwürfe handle. Eine Entscheidung traf die Kammer noch nicht.
Auch die Staatsanwaltschaft wurde von den Verteidigern scharf kritisiert. Sie habe das Verfahren weiter aufgebläht und nicht ausreichend auch zu Gunsten der Angeklagten ermittelt. Die Verteidigung von Zwanziger warf der Anklagebehörde ein „krampfhaftes Festhalten an Ermittlungsergebnissen von 2015“ vor. Sie habe den Eindruck, dass eine Verfolgung von Prominenten Vorrang vor der Wahrheitsfindung gehabt habe.
Alle Verteidiger erklärten, vor Gericht Freisprüche erzielen zu wollen. Es habe keine Steuerhinterziehungen gegeben, bei der Zahlung habe es sich um betriebliche Ausgaben gehandelt. „Die WM 2006 war nicht gekauft“, fasste Tilman Reichling, der Verteidiger von Schmidt, seine Ausführungen zusammen. Bis Ende Oktober wurden zunächst 24 Verhandlungstermine angesetzt.
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