Die konkurrierenden Wirtschaftstreffen von Kanzler Olaf Scholz (SPD) und FDP-Chef Christian Lindner am Dienstag sind weiter auf breite Kritik gestoßen. Die Union sieht in ihnen ein Zeichen der Handlungsunfähigkeit der Ampel-Regierung. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) warnte nach zwei Rezessionsjahren erneut vor einem „Null-Wachstum“ im kommenden Jahr.
Allen in der Ampel-Koalition seien die Probleme der deutschen Wirtschaft bewusst, sagte die wirtschaftspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Julia Klöckner (CDU), den Sendern RTL und ntv. „Das Problem ist, dass daraus nie etwas gefolgt ist.“ Dass Scholz und Lindner nun separate Treffen mit Wirtschaftsvertretern abhielten, sehe „ein bisschen nach Ego-Show aus“. Die Wirtschaft sei „maximal irritiert, keiner weiß, wo es hingeht.“
Scholz hat für Dienstagnachmittag Vertreterinnen und Vertreter aus der Wirtschaft zu Beratungen ins Kanzleramt eingeladen – ohne Abstimmung mit Lindner und auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Lindners FDP setzte darauf für Dienstagvormittag ein separates Gespräch mit Wirtschaftsvertretern auch aus dem Mittelstand an. Habeck hatte seinerseits vergangene Woche einen „Deutschlandfonds“ zur Förderung von Unternehmen mit staatlichen Mitteln vorgeschlagen. Dies hatte Lindner, der auf die Einhaltung der Schuldenbremse pocht, umgehend zurückgewiesen.
BSW-Generalsekretär Christian Leye begrüßte, dass Scholz „den Erhalt von Industrie und ihrer Arbeitsplätze zur Chefsache“ mache. „Der im Vorhinein ausgebrochene Streit darüber, wer die bessere Party schmeißt – der Kanzler oder die FDP – ist jedoch albern und der Sache unwürdig“, erklärte der haushaltspolitische Sprecher der BSW-Gruppe im Bundestag. „Ich hoffe, alle beteiligten Akteure berappeln sich und finden heute echte Lösungen.“
FDP-Fraktionschef Christian Dürr verteidigte das von ihm mitorganisierte Treffen. „Hätte die FDP heute nicht dazu eingeladen, hätten Sie mich natürlich zurecht gefragt: Warum geht es am heutigen Tag ausschließlich um die Industrie und die Großindustrie?“, sagte er bei RTL und ntv. Auch über drei Millionen Mittelständler in Deutschland erwarteten zu Recht Antworten von der Politik.
Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, Katja Mast, stellte sich hinter Scholz: „Der Bundeskanzler macht klar, dass die Sicherung von Arbeitsplätzen und Zukunftsinvestitionen in Deutschland – und nicht anderswo – Chefsache sind“, sagte sie der „Rheinischen Post“. Die Industrie sei „unser Kern, der Deutschlands Stärke ausmacht und damit weit hinein ins Handwerk und Dienstleistungen wirkt“.
Nach Angaben der Bundesregierung steuert die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr im zweiten Jahr in Folge auf eine Rezession zu. Sie rechnet mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um preisbereinigt 0,2 Prozent. Für kommendes Jahr geht sie aber noch von einem Wachstum von 1,1 Prozent aus.
Dem widersprach die DIHK am Dienstag: „Wir haben es nicht nur mit einer konjunkturellen, sondern einer hartnäckigen strukturellen Krise am Standort Deutschland zu tun“, erklärte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben. Er verwies auf eine neue Befragung, in der 25 Prozent der Unternehmen ihre Geschäftslage als schlecht bewerteten, in der Industrie sind es sogar 35 Prozent.
Eine solche Lage habe es zuletzt „während der schweren Krise“ in den Jahren 2002 und 2003 gegeben, betonte Wansleben. Er sprach von einem deutlichen „Alarmsignal“.
Konkrete Maßnahmen wurden von den beiden Wirtschaftstreffen mit Scholz und Lindner am Dienstag nicht erwartet. Bei dem Treffen im Kanzleramt handele es sich um „das erste Gespräch in einer Reihe von Gesprächen“, sagte ein Regierungssprecher am Montag. Lindner und Dürr wollen aber nach ihren Gesprächen vor die Presse treten.
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