Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat erneut vor der von Israel angekündigten Offensive auf Rafah im Süden des Gazastreifens gewarnt. „Wir machen uns Sorgen über den weiteren Fortgang der militärischen Entwicklung“, sagte Scholz am Samstag vor seinem Abflug zu politischen Gesprächen in Jordanien und Israel. Es bestehe die Gefahr, dass es bei einer umfassenden israelischen Offensive in Rafah zu „sehr vielen furchtbaren zivilen Opfern kommt“. Dies müsse „unbedingt vermieden werden“.
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hatte am Freitag Pläne für eine Offensive in Rafah gebilligt. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) warnte daraufhin, eine „großflächige Offensive“ in Rafah sei „nicht zu rechtfertigen“. Mehr als eine Million Geflüchtete hätten „dort Schutz gesucht und können nirgendwo hin“, erklärte die Ministerin, die erneut eine sofortige humanitäre Waffenruhe verlangte.
In Jordanien wird Scholz am Sonntag zu Gesprächen mit König Abdullah II. zusammentreffen, dessen Land die Luftbrücke zur Versorgung der Palästinenser im Gazastreifen initiiert hat. Auch die Bundeswehr beteiligt sich inzwischen daran. Am Samstag warf eine Hercules-Transportmaschine der Luftwaffe erstmals vier Tonnen Hilfsgüter über dem Palästinensergebiet ab. Jordanien gilt zudem als Schlüsselland bei den Bemühungen, mäßigend auf die palästinensische Seite einzuwirken.
In Israel stehen zudem Gespräche des Bundeskanzlers mit Israels Regierungschef Netanjahu, Präsident Isaac Herzog und weiteren Politikern an. Dabei wolle er auch über eine langfristige Perspektive reden, sagte Scholz vor seinem Abflug. Es gehe um „die Frage, wie ein friedliches Miteinander eines palästinensischen Staates und Israels gelingen kann“.
Scholz betonte, Deutschland stehe fest an der Seite Israels bei der Verteidigung des eigenen Landes, doch gleichzeitig sei es wichtig, „dass die Regeln des Völkerrechts beachtet werden“ und zivile Opfer vermieden würden. Zudem müsse humanitäre Hilfe in den Gazastreifen gelangen und „eine langfristige Entwicklung zum Frieden“ besprochen werden.
Nach fünf Monaten Krieg zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas ist die humanitäre Lage im Gazastreifen katastrophal. Der Krieg war durch den Großangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober ausgelöst worden, bei dem nach israelischen Angaben etwa 1160 Menschen getötet sowie rund 250 weitere als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden.
Israel geht seither massiv militärisch im Gazastreifen vor, erklärtes Ziel ist die Zerstörung der Hamas. Nach Angaben der Hamas, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, wurden in dem Palästinensergebiet seitdem mehr als 31.500 Menschen getötet.
Der Besuch des Bundeskanzlers in der Region ist der zweite seit dem Hamas-Angriff im Oktober. Die humanitäre Lage im Gazastreifen hat sich seitdem rapide verschlechtert. Laut dem UN-Welternährungsprogramm (WFP) befinden sich die dort lebenden 2,4 Millionen Palästinenser am Rande einer Hungersnot. Dominic Allen vom Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) sprach am Freitag nach einem Besuch vor Ort von einem „Albtraum“, der viel mehr sei als eine humanitäre Krise.
Zur Versorgung der notleidenden Bevölkerung warfen bereits mehrere Staaten Hilfsgüter über dem Gazastreifen ab. Die Bundeswehr meldete am Samstag den Abwurf von vier Tonnen dringend benötigter Lebensmittel, darunter Reis und Mehl, durch ein in Jordanien gestartetes Herkules-Transportflugzeug. Die vier Paletten seien aus einer Höhe von etwa tausend Metern „punktgenau geliefert“ worden, erklärte die Luftwaffe im Onlinedienst X.
Auch auf dem Seeweg kam etwas Hilfe an. Das Schiff „Open Arms“ der gleichnamigen spanischen Nichtregierungsorganisation brachte knapp 200 Tonnen Lebensmittel der US-Hilfsorganisation World Central Kitchen (WCK).
Die seit Wochen andauernden Vermittlungsbemühungen für eine neue Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas gehen derweil weiter. Israel kündigte an, eine Delegation zu einer weiteren Gesprächsrunde nach Katar zu entsenden.
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