Die Bundesregierung mahnt mit Blick auf die Taurus-Abhöraffäre zur Besonnenheit. Zwar betonten Sprecher der Regierung am Montag in Berlin, die Aufklärung des Vorfalls werde weiter vorangetrieben – man dürfe jedoch „nicht das Spiel Putins spielen“, sagte Vizeregierungssprecher Wolfgang Büchner. Auch dürfe sich die Regierung nicht von Äußerungen aus dem Kreml einschüchtern lassen, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts.
Berichte russischer Medien, wonach wegen des abgehörten Online-Gesprächs hoher Bundeswehr-Offiziere über Fragen in Verbindung mit einer möglichen Taurus-Lieferung an die Ukraine der deutsche Botschafter ins Außenministerium in Moskau einbestellt worden sei, wies der Außenamts-Sprecher in Berlin zurück. Zwar habe es dort ein Gespräch mit Botschafter Alexander Graf Lambsdorff gegeben, dieses sei jedoch „schon länger terminiert“ gewesen.
Am Freitag war zunächst in russischen Online-Netzwerken das offensichtlich abgehörte Gespräch zwischen mehreren deutschen Offizieren veröffentlicht worden. Darin diskutierten die Teilnehmer unter anderem darüber, ob mit den Taurus-Marschflugkörpern auch die Kertsch-Brücke getroffen werden könnte, welche die Halbinsel Krim mit dem russischen Festland verbindet, und ob ukrainische Streitkräfte das Waffensystem eigenständig bedienen könnten. Dabei widersprachen die Offiziere der von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vorgebrachten These, wonach für den Taurus-Einsatz eine direkte Beteiligung deutscher Militärs notwendig sei.
Bei den laufenden Untersuchungen geht es darum, wie es zu der Abhöraktion kommen konnte und ob möglicherweise Sicherheitsregeln durch Teilnehmende verletzt wurden. „Das ist Teil der Untersuchungen“, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums. Er äußerte die Erwartung, dass „in wenigen Tagen“ Ergebnisse vorgelegt werden könnten. Für das Gespräch war der Internetdienst Webex genutzt worden.
Büchner betonte, der Vorfall werde keinen Einfluss auf das Handeln der Regierung haben. „Wir haben eine klare Haltung in der Frage, wie wir die Ukraine unterstützen wollen und wie wir sie auch weiter unterstützen werden“, sagte er. Mit Blick auf Äußerungen in russischen Medien, wo auch Vergeltungsschläge auf Infrastruktur in Deutschland diskutiert wurden, sprach Büchner von der bekannten „gezielten Propaganda und Desinformation“ aus Moskau.
Der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter warnte vor Irritationen bei Verbündeten. „Unsere Partner Frankreich und Großbritannien betrachten Deutschland jetzt als unsicher, weil Russland Dinge erfährt, die es niemals erfahren dürfte“, sagte Kiesewetter der Düsseldorfer „Rheinischen Post“.
Kiesewetter kritisierte auch erneut das Nein von Scholz zu den Taurus-Lieferungen. Scholz begründet seine Haltung damit, dass Deutschland dadurch in den Ukraine-Krieg hineingezogen werden könnte. „Russland hat uns längst als Kriegsgegner benannt“, sagte Kiesewetter dazu der „Bild“-Zeitung.
Die Grünen-Verteidigungspolitikerin Sara Nanni sieht in der Veröffentlichung des abgehörten Gesprächs ein Zeichen der Schwäche Russlands. „Das macht man nur, wenn der Druck groß ist“, sagte sie dem Bayerischen Rundfunk. Nanni und der Grünen-Politiker Konstantin von Notz äußerten zudem die Vermutung, dass der Kreml damit von anderen Vorgängen ablenken wolle, etwa von den Spionage-Aktivitäten des früheren Wirecard-Vorstands Jan Marsalek.
„Wir befinden uns in einem Informationskrieg“, sagte Notz weiter dem WDR. „Wir dürfen uns nicht spalten lassen, so wie es Putin will“, mahnte Grünen-Chefin Ricarda Lang in Berlin. „Extrem verwundert“ über das Ausmaß an Naivität bei der internen Kommunikation der Bundeswehr äußerte sich Linken-Parteichef Martin Schirdewan.
Politikerinnen und Politiker aus Grünen und SPD wandten sich gegen Forderungen aus der Union nach einem Untersuchungsausschuss zu der Abhöraffäre. „Für mich steht nicht irgendein Spektakel im Vordergrund, sondern eine echte Aufklärung in der Sache“, sagte Grünen-Fraktionsvize Agnieszka Brugger dem Sender MDR. Ein solcher Ausschuss „hilft überhaupt nichts“, warnte in dem Sender der SPD-Verteidigungsexperte Wolfgang Hellmich.
CDU/CSU-Parlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei bekräftigte zunächst die Forderung nach einer Sondersitzung des Bundestags-Verteidigungsausschusses. Zudem verwies er auf die kommende Woche ohnehin anstehende Regierungsbefragung von Scholz im Bundestag. Sollte keine hinreichende Aufklärung erfolgen, schloss Frei aber auch einen Untersuchungsausschuss nicht aus, wie ihn bereits CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt gefordert hatte.
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