Kurz vor der Europawahl in Deutschland haben die Parteien am Freitag im Bundestag über Wege in der Europapolitik der kommenden Jahre diskutiert. Während die Ampel-Fraktionen die Errungenschaften der Europäischen Union betonten und zur Verteidigung europäischer Werte aufriefen, warf die Unionsfraktion der Bundesregierung vor, deutsche Interessen in Brüssel nicht durchzusetzen. AfD-Chef Tino Chrupalla skizzierte das Europa-Bild seiner Partei unter Einbeziehung Russlands.
Grünen-Chefin Ricarda Lang bezeichnete die Friedenssicherung nach dem Zweiten Weltkrieg als „Wunder Europas“, das es zu „verteidigen“ gelte. Mit Blick auf den Krieg Russlands in der Ukraine sagte Lang: „Europa muss sich sicherheitspolitisch beweisen. Es muss sich beweisen, wenn wir Angriffe auf die Freiheit von außen und innen erleben.“ Lang mahnte auch zu weiteren Anstrengungen beim Klimaschutz.
Auch SPD-Vize Achim Post warnte vor dem Erstarken radikaler Kräfte. „Das, was wir erreicht haben, lassen wir uns nicht zerstören – nicht unsere Demokratie, nicht unsere Freiheit, nicht unser Europa, nicht von ganz links und schon gar nicht von ganz rechts“, sagte Post. „Es geht um Frieden und Sicherheit, um wirtschaftliche Dynamik und Klimaschutz, um Demokratie und sozialen Zusammenhalt.“
Die EU-Spitzenkandidatin der FDP, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, nannte die EU „das größte Friedensprojekt, seitdem Menschen vom Baum geklettert sind“. Trotzdem habe die EU „riesige Schwächen“. „Sie ist bräsig, ist schwerfällig geworden, besinnt sich nicht mehr auf das große Ganze, sondern auf kleine Details“, kritisierte Strack-Zimmermann die Politik der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU). Strack-Zimmermann forderte zudem den Aufbau einer Verteidigungsunion. „Wir müssen in die Zukunft schauen und unsere Armee Stück für Stück zusammenführen.“
Der europapolitische Sprecher der Unionsfraktion, Gunther Krichbaum (CDU), warf der Ampel-Regierung vor, dass die Schwäche der deutschen Wirtschaft auch am mangelnden Einfluss Deutschlands auf EU-Ebene liege. „Wir verzwergen zunehmend in der Europäischen Union“, sagte Krichbaum und warf Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vor, in „entscheidenden Sitzungen“ in Brüssel nicht anwesend zu sein. „Wenn wir in Ministerräten nicht mehr präsent sind, können deutsche Interessen auch nicht mehr vertreten werden.“
AfD-Partei- und Fraktionschef Chrupalla kritisierte, „diese EU ist dysfunktional, teuer und schadet deutschen Interessen“. Stattdessen müsse Europa als „starker Pol in der Weltgemeinschaft etabliert werden – und zwar von Wladiwostok bis Lissabon“, also unter Einbeziehung Russlands. Die „überholte Ordnung von Ost und West“ müsse „beendet werden“, die EU dürfe „nicht der verlängerte Arm der Nato“ werden.
In diesen Tagen sind rund 360 Millionen Menschen in den 27 Mitgliedstaaten dazu aufgerufen, ein neues EU-Parlament zu wählen. Am Donnerstag hielten bereits die Niederlande die Wahlen ab, am Freitag finden die Wahlen in Irland statt. Die meisten Länder folgen am Sonntag, darunter Deutschland.
Jüngsten Umfragen zufolge hat die Union beste Aussichten, am Sonntag stärkste Kraft zu werden – die Grünen hingegen müssen mit Verlusten rechnen. In einem ZDF-„Politbarometer Extra“ zur Europawahl kommen CDU und CSU zusammen auf 30 Prozent – und liegen damit leicht über dem Ergebnis bei der letzten Europawahl 2019.
Die Grünen kommen der Umfrage zufolge auf 14 Prozent – das wären rund sechs Prozentpunkte weniger als bei der Wahl vor fünf Jahren. Auch die SPD würde den Angaben zufolge 14 Prozent der Stimmen erhalten, ebenso die AfD. Die FDP landet in der Umfrage bei vier Prozent, die Linke bei drei Prozent. Das BSW käme aus dem Stand auf sieben Prozent, Volt auf drei Prozent.
Auf ähnliche Resultate kommt eine am Freitag vorgelegte Wahlprognose des Instituts Ipsos. Bei der Europawahl gibt es keine Fünf-Prozent-Hürde für den Einzug ins EU-Parlament.
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