Ostbeauftragter sieht „jede Menge“ Gründe für Selbstkritik der Koalition

Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider (SPD), sieht das Erscheinungsbild der Koalition als Belastung für dne Wahlkampf in Ostdeutschland.

Auf die Frage der Nachrichtenagentur AFP, ob die Koalition Grund zu Selbstkritik habe, antwortete Schneider: „Jede Menge.“ Er fügte in dem Interview hinzu: „Insbesondere der permanente Streit in den Koalitionsparteien und die Versuche einer Selbstprofilierung einzelner Akteure führt dazu, dass die Leute sich fragen, ob die Politik sich wirklich um ihre konkreten Probleme kümmert.“

Wenn es darum gehe, dem Erstarken der AfD und des BSW in Ostdeutschland etwas entgegenzusetzen, sei der Koalitionsstreit nicht hilfreich – „er spielt aber nicht die entscheidende Rolle“, sagte der SPD-Politiker.

Schneider räumte ein, dass das BSW als neu gegründete Partei eine bestimmte Erwartungshaltung in der Wählerschaft erfolgreich bediene. Die Partei von Sahra Wagenknecht sei erfolgreich, „weil es einen Resonanzboden gibt für eine Partei, die auf der einen Seite nationalistisch auftritt, aber eine sozialistische Politik zum Beispiel bei der Wirtschaftspolitik verfolgt“, sagte der Ostbeauftragte.

Dazu kämen eine „klare prorussische Haltung und das utopische Versprechen, sie könnten einen Frieden im russischen Angriffskrieg auf die Ukraine schaffen“, sagte der SPD-Politiker weiter. „Das stößt auf ein großes Bedürfnis in der Bevölkerung.“ Ein weiterer Grund für den Zuspruch könne sein, dass das BSW „sehr zuwanderungsskeptisch“ auftrete.

Das BSW schlage zudem im Osten einen Ton an, der an die früheren Erfolge anderer Parteien anknüpfe – die Betonung einer Opferrolle. Der Grund für die verbreitete Unzufriedenheit im Osten liege auch darin, „dass führende politische Kräfte, die Ostdeutschland geprägt haben, wie zum Beispiel die Linkspartei, aber auch AfD oder BSW, den Leuten eine permanente Opferrolle einreden und Verlustängste schüren“, sagte Schneider. „Aber das stimmt einfach nicht.“

Den Umstand, dass viele Menschen in Ostdeutschland mehr Verständnis für die Haltung Russlands im Ukraine-Krieg zeigten als im Westen, erklärte Schneider mit den Erfahrungen in der DDR. „Über die Jahrzehnte der DDR-Zeit ist ein verklärtes Bild der ehemaligen Sowjetunion entstanden, die zwar nicht mehr vergleichbar mit dem heutigen Russland ist, das aber noch nachwirkt“, sagte er.

Dieses Russland-Bild sei keineswegs eindeutig positiv, schränkte er ein. „Auf der einen Seite gibt es die Angst vor den sowjetischen Panzern, die wie beim Arbeiteraufstand 1953 oder beim Prager Frühling zivilgesellschaftlichen Widerstand einfach niederrollen“, sagte Schneider. „Andererseits haben viele auch die Sprache und Kultur gelernt, in der Sowjetunion studiert oder zum Beispiel beim Bau der Druschba-Pipeline mitgearbeitet – das verbindet.“

Die USA hingegen seien „der erklärte Staatsfeind Nummer Eins“ gewesen, fügte Schneider hinzu. „Diese Haltung findet man auch heute noch häufig.“
© AFP

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