Am Sonntag sprachen sich erstmals zwei Bundestagsabgeordnete öffentlich dafür aus, mit Verteidigungsminister Boris Pistorius in den Wahlkampf zu ziehen. Scholz ließ aber keine Bereitschaft erkennen, auf die Kanzlerkandidatur zu verzichten. Pistorius stellte sich erneut hinter den Kanzler – sagte aber auch, es gebe „keinen Automatismus“.
„Es ist meine klare Meinung, dass wir mit Boris Pistorius in den Wahlkampf ziehen sollten“, sagte der Bundestagsabgeordnete Joe Weingarten der „Süddeutschen Zeitung“. „Er hat die Tatkraft, die Nähe zu den Menschen und die Fähigkeit, auch in klarem Deutsch zu sagen, was zu tun ist. Und das braucht unser Land jetzt.“
Auch der Bundestagsabgeordnete Johannes Arlt plädierte für Pistorius: Dieser wäre ein „hervorragender SPD-Kanzlerkandidat“, sagte er dem „Tagesspiegel“ vom Montag. Seiner Meinung nach sei „er bestens geeignet, unsere Partei in den Wahlkampf zu führen“. Denn Pistorius könne „den Menschen politische Entscheidungen mit einfachen, klaren Worten erklären“.
Der 64-jährige Pistorius ist nach Umfragen seit Monaten der beliebteste Bundespolitiker. Scholz liegt dagegen weit abgeschlagen auf den hinteren Rängen. Angesichts von SPD-Umfragewerten von 15 bis 16 Prozent hatten sich in den vergangenen Tagen bereits einige Kommunal- und Landespolitiker für Pistorius ausgesprochen.
Wie Arlt verlangte Weingarten nun eine schnelle Entscheidung. Er verwies darauf, dass die Parteiführung am 30. November eine sogenannte Wahlsieg-Konferenz in Berlin abhalten will, auf der Scholz bereits als Kanzlerkandidat gefeiert werden soll. „Es muss jetzt etwas passieren, das kann keine 14 Tage mehr dauern“, sagte der Abgeordnete, der dem konservativen Seeheimer Kreis angehört.
Unter den SPD-Anhängern gibt es nach einer Erhebung des Instituts Insa für die „Welt am Sonntag“ in der Frage ein klares Meinungsbild: 59 Prozent der SPD-Wähler sprechen sich demnach für Pistorius aus. ,Scholz selbst ließ am Sonntag keine Bereitschaft erkennen, vor der Bundestagswahl auf die SPD-Kanzlerkandidatur zu verzichten. „Die SPD und ich wir sind bereit, in diese Auseinandersetzung zu ziehen – übrigens mit dem Ziel zu gewinnen“, sagte Scholz vor seinem Abflug zum G20-Gipfel in Brasilien.
„Wir haben einen Kanzlerkandidaten“, sagte Pistorius am Sonntagabend in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“. Es laufe alles auf Scholz hinaus. Es gebe aber „keinen Automatismus“ in der K-Frage, denn das müsse die Partei entscheiden. Dies werde „spätestens am 11. Januar“ passieren, wenn es einen Parteitag der SPD gebe.
Rückendeckung bekam Scholz erneut aus der SPD-Führung: Es sei „ein Irrglaube zu meinen, man tauscht nur den einen gegen den anderen aus und schon ist alles rosig, blüht und gedeiht“, sagte Parteichef Lars Klingbeil dem „Handelsblatt“. Zudem habe Pistorius selbst gesagt, dass er möchte, dass Scholz antrete. „Insofern gibt es eine Klarheit auch zwischen den beiden“, sagte Klingbeil. „Da gibt es kein Wackeln.“ Offiziell nominiert ist Scholz durch den Parteivorstand allerdings bisher nicht.
Zur Entscheidung der K-Frage meldete sich auch der frühere SPD-Chef Franz Müntefering mahnend zu Wort: „Kanzlerkandidatur ist kein Spiel, das zwei oder mehr Kandidaten abends beim Bier oder beim Frühstück vereinbaren oder das ein Vorrecht auf Wiederwahl umfasst“, sagte er dem „Tagesspiegel“ (Montagsausgabe). Die Entscheidung müsse auf einem SPD-Parteitag erfolgen. Dort seien „selbstverständlich“ Gegenkandidaturen „grundsätzlich“ möglich. Dies sei „praktizierte Demokratie“.
CSU-Chef Markus Söder sagte in der ARD, der Union sei es „egal“, wer SPD-Kanzlerkandidat werde – auch wenn Pistorius der SPD „vielleicht ein, zwei Prozent“ mehr bringen könne. CDU/CSU hätten aber mit Friedrich Merz „einen starken Kandidaten“.
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