Vor dem Türkei-Besuch von Frank-Walter Steinmeier Erwartungen hat sich Unions-Außenexperte Jürgen Hardt (CDU) Kritik am Auftreten des Bundespräsidenten geübt. „Bundespräsident Steinmeier ist leider nicht für klare Ansprachen im Ausland bekannt“, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete der Nachrichtenagentur AFP. Bei seinem Treffen mit Präsident Recep Tayyip Erdogan müsse Steinmeier Klartext reden. „Ich wünschte, er würde die Freiheiten seines Amtes mehr nutzen, so wie es sein Vorgänger wohldosiert tat“, sagte Hardt.
Der CDU-Politiker spielte damit auf Altbundespräsident Joachim Gauck an, der sich 2014 bei seinem Türkei-Besuch einen Schlagabtausch mit Erdogan zum Thema Demokratie und Rechtsstaatlichkeit geliefert hatte. Der Besuch endete mit einem Eklat. Wie Hardt forderten am Wochenende auch Politiker anderer Parteien den Bundespräsidenten auf, die deutsche Kritik ohne Scheu vor Konflikten anzusprechen.
Steinmeier reist am Montag zu einem dreitägigen Besuch in die Türkei. Es ist der erste seit seinem Amtsantritt. Offizieller Anlass ist der 100. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Republik Türkei. Ein Leitmotiv des Besuchs soll laut Bundespräsidialamt auch die Würdigung der Lebensleistung türkischer Arbeitsemigranten sein.
Auf Regierungsebene ist das deutsch-türkische Verhältnis seit Jahren schwierig – wegen deutscher Kritik an der Menschenrechtslage in der Türkei, aktuell aber auch wegen der türkischen Unterstützung für die radikalislamische Hamas und deren Kampf gegen Israel.
Hardt sagte, der Bundespräsident müsse „die Befremdung eines großen Teils der Deutschen über die türkische Politik und das Auftreten der AK-Partei in Deutschland zum Ausdruck bringen“. Als Bundespräsident sei Steinmeier anders als in seinem früheren Amt aus Außenminister „nicht mehr deutscher Chefdiplomat“ und könne deshalb deutlich werden – auch wenn Erdogan auf solche Kritik oft ungehalten reagiert.
Auch Politiker anderer Parteien formulierten ähnliche Erwartungen. Der Grünen-Abgeordnete Max Lucks, der die Deutsch-Türkische Parlamentariergruppe im Bundestag leitet, sagte zu AFP: „Selbstverständlich sollte Bundespräsident Steinmeier Menschenrechtsverletzungen ansprechen – nicht obwohl, sondern weil wir enge Freunde der Türkei sind.“
Die türkeistämmige Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (BSW) sagte zu AFP, Steinmeier dürfe bei seinem Besuch „nicht darüber hinwegsehen, dass sich an den massiven Defiziten in puncto Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in der Türkei nichts Wesentliches geändert hat“. Der Bundespräsident müsse sich für die Freilassung inhaftierter Oppositioneller einsetzen.
Die Türkische Gemeinde Deutschland (TGD) begrüßte ausdrücklich, dass Steinmeier bei seinem Besuch die Lebensgeschichten von türkischen Zugewanderten besonders hervorheben will. „Generell kommt dieser Teil der deutschen Geschichte im deutschen Bewusstsein selten vor“, sagte der Bundesvorsitzende der TGD, Gökay Sofuoglu, zu AFP. Über Migration werde zu oft „nur im negativen Kontext“ gesprochen. Hier könne Steinmeier einen Unterschied machen. In Deutschland leben aktuell rund drei Millionen türkeistämmige Menschen.
Erste Station von Steinmeiers Türkei-Besuch soll am Montag der Istanbuler Bahnhof Sirkeci sei, von dem ab dem Jahr 1961 Tausende türkische Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter per Zug nach Deutschland aufbrachen. Am Dienstag besucht er die Region Gaziantep an der syrischen Grenze, die im vergangenen Jahr durch ein Erdbeben verwüstet wurde. Gespräche mit der türkischen Führung sind erst für Mittwoch geplant, dann trifft Steinmeier Präsident Erdogan in Ankara.
Erdogan sagte am Freitag mit Blick auf den Besuch: „Steinmeier und ich unterhalten seit langem eine Freundschaft, die bis heute besteht.“ Er wolle mit Steinmeier besprechen, „wie wir die deutsch-türkischen Beziehungen voranbringen können“.
Grünen-Türkeiexperte Lucks warf Erdogan indes am Wochenende vor, die dringend erforderliche engere Zusammenarbeit mit Deutschland zu behindern. „Beide Seiten wissen sehr gut, dass sie viel intensiver gemeinsame Projekte angehen müssen“, sagte Lucks zu AFP. „Aber die reale Politik aus dem türkischen Präsidentenpalast steht sich dabei selbst im Wege.“
© AFP