Mehr als zwei Jahre nach der Bundestagswahl von 2021 muss sie wegen zahlreicher Pannen in etwa einem Fünftel der Berliner Wahlbezirke wiederholt werden. Dabei sollen sowohl Erst- als auch Zweitstimmen neu abgegeben werden, wie das Bundesverfassungsgericht am Dienstag in Karlsruhe entschied. Die Teilwiederholung soll am 11. Februar stattfinden, wird aber voraussichtlich keine großen Auswirkungen auf den aktuellen Bundestag haben. (Az. 2 BvC 4/23)
Bei der Bundestagswahl im September 2021 hatten sich vor einigen Wahllokalen der Hauptstadt lange Schlangen gebildet, etwa weil Stimmzettel fehlten oder nur wenige Wahlkabinen vorhanden waren. Einige Wahllokale blieben bis deutlich nach 18.00 Uhr geöffnet, als schon die ersten Prognosen über den Ausgang veröffentlicht wurden.
Später gab es mehr als 1700 Einsprüche gegen die Wahl, unter anderem vom damaligen Bundeswahlleiter selbst. Der Bundestag beschloss im November 2022, dass die Bundestagswahl in 431 Berliner Wahlbezirken wiederholt werden solle. Das war der Unionsfraktion nicht genug. Sie wandte sich an das Bundesverfassungsgericht, um zu erreichen, dass die Zweitstimmen für die Parteilisten in der Hälfte der Berliner Wahlkreise neu abgegeben werden.
Eine solche deutliche Ausweitung lehnte das Bundesverfassungsgericht aber nun ab, ebenso eine Wiederholung in ganz Berlin. Es ging in seinem Urteil nur wenig über den Bundestagsbeschluss hinaus. Dieser sei im Ergebnis überwiegend rechtmäßig, sagte Gerichtsvizepräsidentin Doris König. Das Parlament habe „das Wahlgeschehen jedoch unzureichend aufgeklärt“. Das holte das Verfassungsgericht nach.
Nach seiner Prüfung erklärte es die Wahl in einigen weiteren Wahlbezirken für ungültig, in anderen hob es die Ungültigerklärung auf. Insgesamt muss die Bundestagswahl nun in 455 von 2256 Berliner Wahlbezirken wiederholt werden.
Lange Wartezeiten an sich seien erst einmal kein Wahlfehler, erklärten die Richterinnen und Richter. Sie seien aber ein Anzeichen dafür, dass es zu wenige Kabinen oder Stimmzettel gebe – und somit eben doch gegen die Wahlordnung verstoßen werde. Die Grenze zog das Gericht bei einer Stunde Wartezeit. Danach dürfe sie „nicht mehr mit dem besonderen Andrang während sogenannter Stoßzeiten erklärbar sein“.
Ähnlich urteilte es über eine Stimmabgabe nach 18.00 Uhr. An sich sei sie kein Wahlfehler, wenn die Wahlberechtigten rechtzeitig am Wahllokal eingetroffen seien. Die Öffnung eines Wahllokals noch nach 18.30 Uhr sei aber ein Indiz dafür, dass es nicht ausreichend ausgestattet sei.
Das Gericht erklärte am Dienstag außerdem eine Wahlprüfungsbeschwerde der AfD-Bundestagsfraktion für unzulässig. Diese hatte eine komplette Wiederholung der Bundestagswahl in Berlin gefordert. Das habe sie aber nicht ausreichend begründet, teilte Karlsruhe mit.
Berlin sieht sich für die teilweise Wiederholung gerüstet. Landeswahlleiter Stephan Bröchler kündigte an, dass sie am 11. Februar stattfinden solle. Die bereits begonnenen Planungen könnten nun umgesetzt werden. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) sprach von einer „großen Herausforderung und Kraftanstrengung zugleich“.
Berlin stellt insgesamt etwa vier Prozent der bei einer Bundestagswahl Wahlberechtigten. Unter Politikerinnen und Politikern herrschte Einigkeit darüber, dass sich die Zusammensetzung des Bundestags wohl auch nach der teilweisen Wahlwiederholung nicht entscheidend verändert. Diese „dürfte gar keine Auswirkungen auf die Mehrheit haben“, sagte der SPD-Abgeordnete Johannes Fechner in Karlsruhe.
Erleichtert zeigte sich die Linke, die nur dank zweier Berliner Direktmandate von Gregor Gysi und Gesine Lötzsch in den Bundestag eingezogen war. „Die beiden direkt gewonnenen Wahlkreise sind nicht in Gefahr“, sagte Parteivizechefin Katina Schubert nach dem Urteil. Zwar soll in beiden Wahlkreisen neu gewählt werden, allerdings jeweils nur in wenigen Bezirken.
Unmittelbar nach dem Urteil kamen bereits Wahlkampftöne aus den Parteien. „Eine Hürde unseres Comebackplans für den erneuten Einzug in den Bundestag ist genommen“, sagte der frühere Chef der ehemaligen Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, der „Rheinischen Post“.
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann kündigte an: „Wir möchten der Ampelregierung ein Stoppschild zeigen.“ Für die Grünen sagte Bundesgeschäftsführerin Emily Büning dem „Tagesspiegel“, es sei Aufgabe aller demokratischen Parteien, die Menschen zu überzeugen, im Februar zur Wahl zu gehen.
„Jetzt hat die damalige rot-rot-grüne Regierung in Berlin noch einmal von den Verfassungsrichtern in Karlsruhe bescheinigt bekommen, dass sie einen katastrophalen Wahltag zu verantworten hat“, sagte FDP-Bundesvize Wolfgang Kubicki der „Rheinischen Post“.
Für die Berliner AfD begrüßte Landeschefin Kristin Brinker das Urteil. „In einer funktionierenden Demokratie müssen Wahlergebnisse frei von jedem Zweifel über ihr Zustandekommen sein“, erklärte sie.
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