Leinfelden-Echterdingen – Vor dem Serienstart musste der eCitaro fuel cell zahlreiche Funktions- und Sicherheitstests absolvieren. Dazu gehörte auch eine winterliche Alpenüberquerung – eine Testfahrt mit vielen Herausforderungen.
Die kalte Alpenluft umhüllt den gelben Niederflur-Gelenkbus, der wie ein Fremdkörper auf dem weitläufigen Parkplatz am Plan de Gralba auf 1795 Meter Höhe in den Südtiroler Alpen wirkt. Während Fahrer Andreas Hoffmann eifrig Eis von den Scheiben kratzt, kräuselt sich ein kleine weiße Dampfwolke aus den Dachaufbauten des Busses nach oben – ein untrügliches Zeichen, dass die Brennstoffzelle auf dem Dach des Busses ihre Arbeit aufgenommen hat und nun aus Wasserstoff und Luftsauerstoff Strom erzeugt – mit Wasserdampf als einzige Emission. Denn bei dem Gelenkbus handelt es sich um ein Erprobungsfahrzeug, einen von vier Prototypen des Mercedes-Benz eCitaro fuel cell.
Der erste Elektrobus, bei dem ein Brennstoffzellensystem für eine Verlängerung der Reichweite sorgt, hat gerade einen von zahlreichen Tests absolviert und souverän bestanden: Nach einer Nacht mit Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt laufen Elektroantriebssystem und Brennstoffzelle reibungslos an.
Ein Team von Mercedes-Benz Test-Ingenieuren hat sich Anfang 2023 mit dem eCitaro fuel cell in die Alpen begeben, um dessen Kaltstartverhalten bei winterlichen Temperaturen zu testen und das neu entwickelte Thermomanagement zu erproben. Zugleich sollten die Fahrten auf Höhen jenseits von 1700 Metern Erkenntnisse über die Funktion des Brennstoffzellensystem in extremen Höhen liefern. Darüber hinaus musste das neue Antriebssystem bei anspruchsvollen Passfahrten mit Steigungen und Gefällen von bis zu 15 Prozent seine Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen. Und nicht zuletzt war der Energieverbrauch bei diesen herausfordernden Bedingungen von großem Interesse.
Mit dem E-Bus-Testteam unterwegs
„Während der Fahrt überwachen die Testingenieure ständig unzählige Messstellen und Daten“, erklärt Testleiter Jonas Steinki. Neben den Temperaturen von Batterie, Brennstoffzelle, Motoren und Fahrgastraum sind das unter anderem auch der Energieverbrauch des Antriebs ebenso wie von Heizung und anderen Nebenverbrauchern, der Ladestand der Batterien und der Füllstand der Wasserstofftanks. Die Testingenieure Rainer Bickel, Stephan Lutz und Hannes Mayer überwachen auf ihren Monitoren ununterbrochen die wichtigsten Parameter von Brennstoffzellensystem, Antrieb, Thermomanagement und Heizung, suchen nach Auffälligkeiten und gleichen die Daten mit den errechneten Sollwerten ab.
Die mehrtägige Testfahrt beginnt mit einer Alpenüberquerung von Neu-Ulm über Füssen, den Fernpass, den Reschenpass bis nach Bozen. Die Kombination aus Batterie und Wasserstoff sollte die 360 Kilometer lange Strecke bewältigen können. Dennoch lässt sich schwer abzuschätzen, wie sich der Energieverbrauch auf den langen und steilen Pässen bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt entwickeln würde. Um sicherzugehen, beschließt das Team, auf dem Rasthof Allgäuer Tor die Hochvoltbatterien noch einmal etwas nachzuladen.
Gute Energiebilanz dank Thermomanagement und hoher Rekuperation
Auf dem Weg über den Fernpass wird schnell klar, dass der eCitaro fuel cell die anspruchsvolle Strecke sogar besser meistert als erwartet. „Trotz der Steigung arbeitet die Brennstoffzelle im effizientesten Leistungsbereich von 20 bis 30 kW“, erläutert Rainer Bickel und deutet auf den entsprechenden Wert auf dem Monitor. „Zudem nutzt das neue Thermomanagement die Abwärme der Brennstoffzelle gewinnbringend für die Temperierung des Innenraums. Die Elektroheizung kommt daher kaum zum Einsatz und der Energieverbrauch aller Nebenaggregate, wie Heizung, Lenkung und Kompressor zusammen bleibt daher auf sehr niedrigem Niveau.“
Auch bergab zeigt der eCitaro fuel cell seine Stärke. Bei Bremsvorgängen erhöht sich die Rekuperation auf bis zu 285 kW. Das bedeutet: Die insgesamt vier Motoren der beiden Antriebsachsen arbeiten jetzt als Generatoren und laden die Batterien mit bis zu 285 kW auf – fast doppelt so viel wie eine Schnellladesäule. „Mehr geht nicht“, sagt Rainer Bickel. „Um die Batterien nicht zu sehr zu strapazieren, haben wir die Rekuperationsleistung auf 285 kW begrenzt.“
Die positive Energiebilanz setzte sich bis zum Ziel der Alpenüberquerung in Bozen fort: Nach 368 Kilometern und einer Zwischenladung von rund 55 kWh zeigt die Batterieladeanzeige noch immer 56 Prozent SoC (State of Charge). Und auch die Wasserstofftanks sind mit 42 Prozent noch gut gefüllt.