Krefeld – Die Idee: Auf dem Gelände des Freizeitzentrums Süd entsteht eine eigene Stadtgesellschaft, die die Kinder mit ihren Ideen selbst aufziehen. Demokratie-Kompetenzen werden dabei in dem eigenen kleinen Mikrokosmos spielerisch vermittelt. Denn die Kinder haben Pflichten und Rechte wie in einer echten Gesellschaft. Sie wählen ihre Stadtregierung, beziehen Lohn für ihre Arbeit, bezahlen Steuern. Zugleich ist Crefeldia ein lebendiger Ort, wo sich alle Kinder wohlfühlen sollen. Wer eine Pause einlegen möchte, kann sich Auszeiten auf dem Spielplatz oder in der Sporthalle nehmen.
Das Rollenspiel bedurfte in den vergangenen Wochen und Monaten einer minutiösen Vorbereitung. Ein Helferteam aus 30 Personen – in diesem Jahr bereits auch ab 16 Jahren – hat die Stadt im Vorfeld liebevoll hergerichtet: Straßen- und Verkehrsschilder, Briefkästen und ein eigenes Ortseingangsschild wandelten die Ferienstadt in eine lebensechte Kulisse. Lara Oberdieck, Bezirksjugendpflegerin bei der Stadt Krefeld, und Robin Schnock, Leiter des Jugendzentrums Stahlnetz, haben das Planspiel mitorganisiert und blicken auf eine Woche Crefeldia – einem Angebot des Freizeitzentrums Süd in Kooperation mit den Jugendeinrichtungen Offene Tür Herbertzstraße, Stahlnetz, Casablanca und der Spielaktion Mobifant – zurück. Eine Woche voller Überraschungen – inklusive Falschgeld-Skandal und Arbeitsaufstand in der Küche.
Montag:
Eigentlich fängt die Ferienstadt um 8 Uhr an. Doch schon jetzt, eine halbe Stunde vorher, haben sich die ersten ungeduldigen Kinder mit ihren Eltern vor dem Jugendzentrum versammelt. Aber dann geht es endlich los: Aus Krefelder Kindern werden Crefeldianer. Das Ferienangebot beginnt mit der Anmeldung im Einwohnermeldeamt. Hier erhalten die Kinder einen personalisierten Ausweis mit Sofort-Passbild und ein Startguthaben von zehn Cralern, der Crefeldia-Währung. Bis zur ersten Vollversammlung um 9 Uhr reicht die Zeit für erste Kennenlerngespräche und Rundgänge über das Gelände. Dann versammeln sich alle Kinder in der Sporthalle des FZ Süd. Die Organisatoren erklären die Grundlagen und Regeln des Rollenspiels. Auch Oberbürgermeister Frank Meyer heißt die Teilnehmenden per Videobotschaft willkommen. „Danach“, erinnert sich Lara Oberdieck, „wollten die Kinder am liebsten sofort loslegen.“
Doch zunächst lernen sie in einer Stadtrallye sämtliche Gewerke und Institutionen kennen. Die Bank verwaltet das Geld in einem Tresor, händigt den Kindern ihren Stundenlohn von 15 Cralern aus, wovon sie fünf Craler als Steuer einbehalten. Im Rathaus instruiert der Krefelder Jugendbeirat die Kandidaten für die am nächsten Tag terminierte Bürgermeisterwahl. „Diesmal haben sich acht Kinder zur Wahl gestellt, so viele hatten wir noch nie“, sagt Robin Schnock. Die Aspiranten auf das Amt des Stadtoberhaupts bereiten sich jetzt auf ihren Wahlkampf vor: Manche drehen Werbespots in der Filmwerkstatt, andere gestalten Wahlplakate oder geben Interviews im Presseamt. Unterdessen haben die anderen Kinder ihre ersten Arbeitsverträge unterzeichnet – in der „CreAktiv“-Werkstatt, im leuchtenden Gewächshaus oder in der Papierwerkstatt. Darüber hinaus können die Crefeldianer eigene Firmen gründen. Und so endet der erste Tag mit einem privatisierten Kicker- und Skateboardverleih.
Dienstag:
Tag zwei in der Ferienstadt. Seit neun Uhr sind die Kinder in ihren Gewerken beschäftigt, es stellt sich bereits eine erste Routine ein. Bei „Greenfeldia“ bemalen Kinder Blumentöpfe und bepflanzen Wildblumen auf dem Gelände. Die Elektrowerkstatt stellt heute einen „Heißen Draht“ her. Zeitungsverkäufer stolzieren durch Crefeldia. In den Händen halten sie die druckfrische erste Ausgabe ihrer Gazette. Auflage: 45 Exemplare, Preis: fünf Craler. Unter den Betrieben entwickeln sich erste Handelsgeschäfte. Eine Filz-Brieftasche ist beispielsweise eine Werbeanzeige in der Zeitung wert. Allmählich steuert die gesamte Ferienstadt auf den Tageshöhepunkt zu, Nervosität und Aufregung machen sich breit. Um 14 Uhr ist die Wahl der Bürgermeisterin oder des Bürgermeisters. Die Wahlwerbespots werden gezeigt, jeder Kandidierende stellt sich im Schnelldurchlauf noch einmal vor. „Dass man sich mit acht Jahren traut, sich auf die Bühne zu stellen und vor über 100 Personen in ein Mikrofon zu sprechen, finde ich schon beachtlich“, sagt Lara Oberdieck. Sie erklärt den Kindern, wie eine demokratische Wahl funktioniert. Danach stellen sich die Crefeldianer im Wahlbüro an, um in der „Wahlkabiene“ ihre Stimme abzugeben. Die Wahlbeteiligung liegt bei 80 Prozent. Die meisten Stimmen kann der elfjährige Ruben auf sich vereinen. Er überzeugte mit Versprechen auf Steuersenkungen, Umweltschutz sowie Recht und Sicherheit. Crefeldia hat nun einen Bürgermeister.
Mittwoch:
Den Wunsch nach mehr Sicherheit setzt Bürgermeister Ruben prompt um. Noch am Vormittag konstituiert sich eine Polizei aus vier Crefeldianern, die ab sofort durch die Stadt patrouillieren und bei Streitigkeiten oder gar Verbrechen beschwichtigend eingreifen sollen. Hier und da kommt es zu Diebstählen. Ein paar umtriebige Bürger kassieren ihr Geld mit Glückspiel. Weitere Probleme tun sich auf: Auch das Finanzsystem der Ferienstadt hat nur begrenzte Möglichkeiten. Die versprochenen Steuersenkungen sind nun fraglich. Bis zum Mittag ordnet der Bürgermeister einen Gehaltsstopp an und zieht sich mit seinen Stellvertretern zur Beratung zurück. Anschließend verkündet die Stadtspitze, dass die Steuerabgabe bei gleichzeitiger Lohnerhöhung bestehen bleibt. Das feuert allerdings die Inflation an. Ein einfaches Spiel kostet nun schon mal 80 Craler.
Täglich von 12 bis 13 Uhr ist Mittagspause. Die Verpflegung übernimmt in diesem Jahr erstmals die Kindertafel zusammen mit „Mobisatt“. Bei der Zubereitung der frischen Mahlzeiten helfen einige Kinder mit – und verdienen sich auf diese Weise ihr Gehalt. Eine findige Gruppe eröffnet eine Bäckerei. Die Idee entpuppt sich als großer Erfolg, die selbst gebackenen Plätzchen werden massenweise gekauft. Am Nachmittag steht der Markt an. Hier können alle Gewerke ihre selbst hergestellten Produkte verkaufen. Die Geschäfte florieren. Auch Selbstständige bieten ihre Dienste feil, wie etwa eine junge Sängerin, die derart beeindruckt, dass sie bereits für Folgeauftritte gebucht wird. „Wir setzen in dem Rollenspiel nur die Leitplanken. Hier und da versuchen wir aber gewisse Impulse zu setzen, um die Kinder vor Herausforderungen zu stellen“, erklärt Robin Schnock. Konkret heißt das an diesem Mittwoch: Die Organisatoren geben Falschgeld in Auftrag.
Donnerstag:
In Crefeldia rumort es. Die Gerüchte über das mögliche Falschgeld verbreiten sich rasant unter den Kindern. Und dann auch noch das: Weil sich das Küchenteam zu wenig wertgeschätzt fühlt, tritt es in einen Streik. Das Küchenmobil ist mit Flatterband abgesperrt, das Mittagessen fraglich. Jetzt ist ein diplomatisch geschickter Bürgermeister gefragt. Und Ruben beweist, dass er einer ist. In einer emotionalen Ansprache bedankt er sich im Namen aller Crefeldianer für das leckere Essen und ruft seine Bürgerinnen und Bürger zu mehr Dankbarkeit auf. Das Küchenpersonal nimmt seine Arbeit wieder auf. Der Erleichterung folgt die Vorfreude. Denn heute Nachmittag ist Kinozeit. Über den Film wird – natürlich – abgestimmt. Doch inmitten der Kinovorbereitungen schiebt sich die Mittagsvollversammlung – und mit einem hier gezeigten Video der klare Beweis: In Crefeldia ist tatsächlich Falschgeld in Umlauf. In der Blüten-Affäre verdichten sich plötzlich die Hinweise, dass ausgerechnet zwei Erwachsene Urheber des Schwindels sein könnten. Passenderweise befindet sich heute ein Jura-Student als Gast in der Ferienstadt. Er wird kurzerhand beauftragt, als Richter einen Prozess zu eröffnen. Dieser entwickelt sich zu einem emotionalen Verfahren, dessen Ende eine handfeste Überraschung aufweist: Ausgerechnet der Küchenchef hatte die falschen Craler-Scheine gedruckt. Das Urteil: 125 Straf-Craler an die Stadtkasse.
Freitag:
Dem letzten Tag begegnen die meisten Kinder mit Wehmut. Noch einmal eine Schicht in der Lieblingswerkstatt. Noch einmal am Bürgerservice vorbeischauen. Das letzte gemeinsame Mittagessen auf dem Außengelände genießen. „Auch für uns als Organisatoren ist die Ferienstadt jedes Mal aufs Neue ein Abenteuer. Wir wissen nie, wie es sich letztlich entwickeln wird. Das hängt immer von der jeweiligen Gruppendynamik ab. In diesem Jahr war es für uns wegen neuer Elemente und den vielen Kindern etwas ganz Besonderes“, sagt Robin Schnock. Doch die Ferienstadt endet nicht ohne das große Stadtfest. Einige Kinder führen einen einstudierten Tanz vor, Thomas Jansen vom Mobifant tritt mit seiner Zirkus-Crew auf. Die letzten Craler gehen über die Theke der Verkaufsstände. Dazu gibt es Stockbrot – und ein weiteres Highlight als ultimativen Abschluss: Ein Eiswagen fährt vor, die Kindertafel spendiert allen eine Portion. „Als gegen 16 Uhr dann Schluss war“, berichtet Lara Oberdieck gerührt, „wollten ganz viele Kinder gar nicht mehr gehen.“ Sie umarmten ihre Betreuerinnen und Betreuer und verabschiedeten sich, viele mit einem „Bis zum nächsten Jahr“.