Neue Angriffe auf politisch Aktive, darunter Berlins Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD), befeuern die Diskussion um eine schärfere Reaktion auf solche Taten. Der Berliner Senat werde über Konsequenzen zu beraten, „auch über härtere Strafen für Angriffe auf Politiker“, kündigte der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) an. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) plädierte ebenfalls für Strafverschärfungen.
Giffey wurde am Dienstagnachmittag in einer Berliner Bibliothek von hinten mit einem Beutel mit hartem Inhalt attackiert. Die frühere Regierende Bürgermeisterin und ehemalige Bundesfamilienministerin wurde an Kopf und Nacken getroffen und in einem Krankenhaus ambulant behandelt. Am Mittwoch war sie nach eigenen Angaben aber wieder wohlauf. Die SPD-Politikerin zeigte sich erschüttert über eine sich verstärkende „Freiwildkultur“, der politisch engagierte Menschen ausgesetzt seien.
Am Mittwoch nahm die Polizei einen 74-jährigen Tatverdächtigen fest. Gegen ihn lägen bereits „polizeiliche Erkenntnisse aus dem Bereich des Staatsschutzes und der Hasskriminalität“ vor, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft mit. Außerdem gebe es Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung.
Berlins Regierender Bürgermeister Wegner erklärte, wer Politikerinnen und Politiker angreife, greife die Demokratie an. Aus Sicht der Präsidentin des Berliner Abgeordnetenhauses, Cornelia Seibeld (CDU), wurde mit dem Angriff auf Giffey eine rote Linie überschritten: „Die Gewaltspirale dreht sich weiter.“
In der vergangenen Woche war in Dresden der sächsische SPD-Europaabgeordnete Matthias Ecke niedergeschlagen und schwer verletzt worden. Zuvor soll die verantwortliche Gruppe einen 28-Jährigen angegriffen haben, der für die Grünen Wahlplakate anbrachte.
Am Dienstagabend wurden ebenfalls in Dresden mehrere örtliche Grünen-Politiker und Wahlkampfhelfer aggressiv bedrängt, wie die Polizei mitteilte. Nach Angaben der sächsischen Grünen wurden ihnen aus einer Gruppe zunächst rechtsextreme Parolen entgegengerufen. Einer der Pöbler riss ein gerade aufgehängtes Plakat ab, eine Frau bedrängte und beleidigte die Grünen-Politikerin Yvonne Mosler und spuckte ihr ins Gesicht. Ein Fernsehteam der Deutschen Welle, das die Wahlkämpfer begleitete, filmte den Vorfall.
Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte, auch dieser Fall sei wie der Angriff auf Giffey scharf zu verurteilen. Er verwies auf die Aussage Faesers, wonach Deutschland eine „Eskalation antidemokratischer Gewalt“ erlebe. Sehr wichtig seien schnelle Ermittlungserfolge und ein hoher Fahndungsdruck auf die Täter.
Regierungssprecher Steffen Hebestreit sprach von einer „Form der Einschüchterung, die sich zum Teil Bahn bricht“. Ein solches Klima dürfe nicht akzeptiert werden. Demokratie lebe „vom Engagement ganz vieler“, betonte er.
Bundesinnenministerin Faeser sagte in den ARD-„Tagesthemen“, sie werde sich bei Justizminister Marco Buschmann (FDP) für Strafverschärfungen einsetzen. Es brauche aber weitere Maßnahmen, sagte die Ministerin und nannte etwa schnellere Justizverfahren und Schutzkonzepte speziell für Amts- und Mandatsträger. „Sie werden nie mit Polizeipräsenz alleine das bewältigen können“, räumte Faeser zugleich ein. Es gehe um die Frage, wie ein „besseres gesellschaftliches Klima“ geschaffen werden könne.
Die Innenminister von Bund und Ländern hatten sich am Dienstagabend für eine schnelle Reaktion der Justiz und die Prüfung von Strafrechtsverschärfungen ausgesprochen.
Der Deutsche Richterbund nannte die jüngsten Attacken „alarmierend“. Mit Gesetzesverschärfungen wäre aber „nichts gewonnen, solange es wegen großer Personallücken im Gesetzesvollzug hakt“, erklärte Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn. Die Staatsanwaltschaften und Strafgerichte seien „chronisch überlastet“. Die Bundesregierung müsse sich „finanziell weitaus stärker für einen wehrhaften Rechtsstaat engagieren“, forderte er.
Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) nannte die Antworten der Politik auf die Attacken bislang völlig unzureichend. Höhere Strafandrohungen seien „regelmäßig ohne erkennbare Wirkung“, erklärte der DPolG-Bundesvorsitzender Rainer Wendt. Er forderte, beschlossene Kürzungen im Polizeibereich zurückzunehmen und die Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden zu erweitern.
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