Trotz jüngster Rückschläge hält Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) einen Sieg der Ukraine im Krieg gegen Russland noch für möglich. In einem am Donnerstag veröffentlichten Interview mit dem Magazin „Focus“ bejahte Pistorius die Frage, ob die Ukraine den Krieg noch gewinnen könne. „Und wir müssen alles dafür tun“, betonte der Verteidigungsminister. Deutschland gehe deshalb bei der Abgabe von Waffen aus Beständen der Bundeswehr „an die Schmerzgrenze“.
Pistorius verwies auf die am Wochenende angekündigte Lieferung eines dritten Patriot-Luftabwehrsystems. Bei der weiteren Abgabe aus Bundeswehr-Beständen sieht der Minister aber nun kaum mehr Spielraum. „Deswegen werden wir auch die Unterstützungsleistungen direkt aus der Industrie weiter verstärken.“ Die Bundesregierung finanziert hier Lieferungen, etwa des modernen Luftabwehr-Systems Iris-T.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) schloß eine baldige militärische Niederlage der Ukraine ebenfalls aus. „Nein. Es ist eine ernste Situation, das ist auch allen bewusst, aber es passiert jetzt sehr viel“, sagte Habeck während seines Besuchs in der ukrainischen Hauptstadt Kiew am Donnerstag den Sendern RTL und ntv.
„Wir müssen der Ukraine helfen, möglichst schnell möglichst viele Waffen zu bekommen“, ergänzte der Vizekanzler. Dann könne die Frage, ob die Ukraine gerade den Krieg gegen Russland verliere, „klar verneint“ werden. Habeck hofft auf Militärhilfen aus den USA für die Ukraine. Diese sollten „jetzt endlich mal zu einem Abschluss kommen, das wäre ein wichtiges Signal“, betonte er. Die Bundesregierung habe ihre Entscheidung, ein weiteres Luftabwehrsystem zu liefern, unabhängig von anderen Ländern getroffen.
Verteidigungsminister Pistorius warnte mit Blick auf Deutschland davor, bei der sicherheitspolitischen Zeitenwende in der Folge des Ukraine-Kriegs nachzulassen. „Was wir bisher geleistet haben, kann und darf nicht alles gewesen sein“, sagte er „Focus“. Denn Russlands Präsident Wladimir Putin „sucht und nutzt jede Schwäche“.
Es werde aber noch „mehrere Jahre“ dauern, bis Deutschland „kriegstüchtig“ sei, sagte Pistorius weiter. Deutschland müsse wieder eine Abschreckungsfähigkeit wie im Kalten Krieg herstellen. „Wir müssen den Willen und die Fähigkeiten haben, in einer solchen Lage gewinnen zu können“, sagte er zu einem möglichen Angriff. Dies müsse noch vor dem Jahr 2030 erfolgen.
Um die Bundeswehr wieder für die Landes- und Bündnisverteidigung fit zu machen, sei neues Geld nötig, sagte Pistorius. Denn aus dem 100 Milliarden Euro schweren Sondervermögen würden alle Gelder „bis Ende des Jahres in Beschaffungen vertraglich gebunden sein“. Deshalb müsse jetzt „neues Geld nachkommen“.
Für 2025 bezifferte Pistorius die nötige Summe auf 6,7 Milliarden Euro. Dies werde neue Schulden erforderlich machen, zeigte sich der Minister überzeugt. Hier müsse sich die Politik „mal ehrlich machen“.
„Die Ertüchtigung der Bundeswehr und die Unterstützung der Ukraine erfordern Milliardenbeträge, die man nicht einfach mal so aus dem laufenden Haushalt finanzieren kann“, sagte Pistorius. „Ich wüsste auch nicht, wie man sie aus anderen Bereichen herausschneiden könnte, ohne dass es dort zu erheblichen Verwerfungen kommt oder womöglich sogar ein Konjunkturprogramm für die AfD daraus wird.“
Die Schuldenbremse könne dem nicht entgegenstehen, sagte der SPD-Politiker. „Die Sicherheit der Menschen hat Verfassungsrang. Ich wüsste nicht, warum man das nicht mit Blick auf die Schuldenbremse auch so betrachten sollte.“
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