Streit über AfD-Vorsitzende von Bundestagsausschüssen wird in Karlsruhe ausgetragen

Der seit Jahren schwelende Streit um die Vorsitze in verschiedenen Bundestagsausschüssen wurde vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ausgetragen.

Der seit Jahren schwelende Streit um die Vorsitze in verschiedenen Bundestagsausschüssen ist am Mittwoch vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ausgetragen worden. Die AfD-Fraktion, die in dieser Legislaturperiode keinen einzigen Vorsitzenden stellt, wandte sich an das Gericht. Es geht um eine Abwahl, nämlich die des AfD-Politikers Stephan Brandner vom Vorsitz des Rechtsausschusses 2019, und mehrere Nichtwahlen von AfD-Kandidaten zu Ausschussvorsitzenden nach der Bundestagswahl 2021. (Az. 2 BvE 1/20 und 2 BvE 10/21)

Die Vorsitzenden der Bundestagsausschüsse spielen eine wichtige Rolle im parlamentarischen Alltag. Sie bereiten die Ausschusssitzungen vor, berufen sie ein und leiten sie. Gemeinhin würden sie auch als „kleine Parlamentspräsidenten“ bezeichnet, berichtete der Berliner Juraprofessor Sven Hölscheidt in der Verhandlung.

Kernfrage ist, ob allen Fraktionen Vorsitze in Ausschüssen zustehen oder ob die Ausschüsse per Wahl auch anders entscheiden können. Die parlamentarische Geschäftsordnung sieht vor, dass die Ausschüsse die Vorsitzenden und ihre Stellvertreter nach den Vereinbarungen im Ältestenrat bestimmen. In den vergangenen Jahrzehnten klappte das meist.

Wenn sich die Fraktionen nach einer Bundestagswahl aber nicht einigen können, kommt das sogenannte Zugriffsverfahren zum Tragen. Dann dürfen die Fraktionen reihum, der Größe nach, auf die Ausschussvorsitze zugreifen. Die Abwahl von Ausschussvorsitzenden ist in der Geschäftsordnung nicht geregelt.

Die Abwahl Brandners im November 2019 war dann auch ein in der Geschichte der Bundesrepublik bislang einmaliger Vorgang. Vorangegangen waren ihm Äußerungen Brandners in sozialen Netzwerken, die für Empörung sorgten und als antisemitisch wahrgenommen wurden. So nannte er das Bundesverdienstkreuz für den Sänger Udo Lindenberg einen „Judaslohn“.

Er selbst sagte dazu in Karlsruhe, dass er sich als Privatperson geäußert habe und die Tweets, die „in die Öffentlichkeit gezerrt“ worden seien, nichts mit seiner Tätigkeit im Rechtsausschuss zu tun gehabt hätten. Andere Bundestagsabgeordnete berichteten, dass das Vertrauen des Ausschusses in ihn auch durch Auftritte verloren gegangen sei, zu denen er als Ausschussvorsitzender eingeladen worden sei, bei denen er sich aber parteipolitisch geäußert habe.

Vertrauen war überhaupt das zentrale Stichwort bei der Befragung der als Sachverständige geladenen Abgeordneten. Irene Mihalic von den Grünen betonte ebenso wie Stephan Thomae von der FDP, wie wichtig das Vertrauen in den Ausschussvorsitzenden und auch dessen Außenwirkung sei.

Nach der Bundestagswahl 2021 hatte es ein weiteres Novum im Parlament gegeben. Nachdem die Fraktionen im Zugriffsverfahren Anspruch auf verschiedene Ausschussvorsitze erhoben hatten, wurde in jedem Ausschuss eine geheime Wahl beantragt. Die drei Kandidaten der AfD für die Vorsitze im Innen-, Gesundheits- und Entwicklungsausschuss fielen dabei durch. Die Ausschüsse werden seitdem vorläufig von den stellvertretenden Vorsitzenden geleitet.

Der Bevollmächtigte der AfD-Fraktion, Michael Elicker, leitete den Anspruch auf Ausschussvorsitze von den Minderheitenrechten im Bundestag ab. Der Opposition müssten Kontrollrechte zur Verfügung stehen, um die Demokratie „richtig zum Laufen zu bringen“, argumentierte er.

Wenn Ausschüsse mit Vorsitzenden arbeiten müssten, zu denen „das Vertrauensverhältnis massiv zerstört“ sei, wäre die Funktionsfähigkeit des Bundestags deutlich eingeschränkt, sagte dagegen die Bevollmächtigte des Bundestags, Sophie Schönberger. Der Geschäftsordnung zufolge habe ein Ausschuss das Bestimmungsrecht für den Vorsitz. Es sei demnach völlig unproblematisch, eine Wahl abzuhalten oder auch einen Vorsitzenden abzuwählen.

Ein Urteil fiel in Karlsruhe am Mittwoch noch nicht. Es wird meist einige Monate nach der Verhandlung verkündet.

Wie wichtig der AfD die Frage ist, zeigte sich vor einer Woche im Gesundheitsausschuss: Der AfD-Abgeordnete Kay-Uwe Ziegler provozierte einen Eklat, als er den Platz der amtierenden Ausschussvorsitzenden einnahm und Anspruch auf die Sitzungsleitung erhob. Die anderen Abgeordneten boykottierten die Sitzung, bis Ziegler den Platz wieder aufgab.
© AFP

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