Vor dem Landgericht im niedersächsischen Braunschweig hat am Freitag der Prozess gegen den deutschen Verdächtigen im Fall des 2007 verschwundenen britischen Mädchens Madeleine „Maddie“ McCann wegen mehrerer damit nicht im Zusammenhang stehender Sexualverbrechen begonnen. Es geht um Taten, die der Beschuldigte Christian B. in den Jahren 2000 bis 2017 in Portugal begangen haben soll. Geplant sind Verhandlungstermine bis Juni.
Noch vor der Anklageverlesung stellte B.s Verteidigung allerdings zu Prozessbeginn einen Befangenheitsantrag gegen eine Schöffin, über den das Gericht zunächst beriet. Aus Sicht der Verteidigung gibt es Zweifel an der Eignung der Frau, weil diese in Postings im Internet früher zur Tötung des früheren brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro aufgerufen haben soll. Zudem setze sie sich als Kinderpsychotherapeutin für die Belange von Kindern ein, wodurch ein „Verfahrensbezug“ gegeben sei, der Zweifel an ihrer Neutralität wecke.
Der derzeit ohnehin wegen einer Verurteilung wegen Vergewaltigung in Haft sitzende B. soll laut Anklageschrift bei Einbrüchen in Ferienwohnungen und ähnliche Objekten in Portugal drei Frauen vergewaltigt haben. Zudem wird ihm sexueller Missbrauch von zwei Mädchen an einem Strand sowie auf einem Spielplatz vorgeworfen. Die Anklage stützt sich unter anderem auf Videoaufnahmen der Taten, die B. selbst aufnahm.
Die Staatsanwaltschaft Braunschweig betrachtet ihn auch als Mordverdächtigen im Fall der aus einem Ferienappartement in Portugal verschwundenen Maddie. Anklage erhob sie deshalb bislang nicht. Maddie war im Jahr 2007 verschwunden, während ihre Eltern in einem nahen Restaurant zu Abend aßen. Trotz großangelegter Fahndungen und zahlreicher Aufrufe ihrer Eltern wurde der Fall nie aufgeklärt, Maddie blieb unauffindbar.
Die Braunschweiger Staatsanwaltschaft ermittelt seit mehr als drei Jahren im Zusammenhang mit dem Verschwinden Maddies gegen B. wegen Mordes. Sie geht nach eigenen Angaben davon aus, dass er das Mädchen tötete. Nähere Angaben dazu, worauf sich ihr Verdacht stützt, macht die Behörde bislang nicht. Auch die portugiesische Staatsanwaltschaft beschuldigt den Deutschen im Fall Maddie des Mordes.
B. beschäftigt Ermittler und Justiz in Deutschland bereits seit langem, er ist unter anderem auch wegen Sexualdelikten an Kindern vorbestraft und verbüßte im Lauf seines Lebens diverse Haftstrafen. Zuletzt verurteilte ihn das Landgericht Braunschweig 2019 wegen der Vergewaltigung einer 72-jährigen US-Touristin in Portugal im Jahr 2005 rechtskräftig zu einer siebenjährige Gefängnisstrafe, die er derzeit verbüßt.
Deutschen Ermittlern zufolge hielt sich B. früher regelmäßig in Portugal auf, um dort Gelegenheitsjobs auszuführen und in Ferienanlagen und Hotels einzubrechen. Parallel soll er während seiner wiederholten Aufenthalte in Feriengebieten an der Algarve dort auch Sexualverbrechen begangen haben. B. lebte früher unter anderem in Braunschweig, daher ist das Landgericht in der niedersächsischen Stadt für ihn zuständig
Geklärt wurde das nach einem juristischen Zuständigkeitsstreit. Das Braunschweiger Gericht erklärte sich für nicht zuständig und argumentierte, B. habe den letzten ständigen Wohnsitz vor seinem Auslandsaufenhalt in Sachsen-Anhalt gehabt. Das übergeordnete Oberlandesgericht in Braunschweig entschied später auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft aber, dass von einem letzten Wohnsitz in Braunschweig auszugehen sein.
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