„Was wir heute erleben, hätte ich mir 2014 im Albtraum nicht vorstellen können“, sagte Schuster in einem Interview anlässlich seines zehnjährigen Amtsjubiläums den Zeitungen „Main Post“ und „Augsburger Allgemeine“ (Samstagsausgaben).
In Deutschland habe sich die Zahl von rund 20 Prozent der Menschen, die antijüdische Ressentiments hätten, zwar nicht wesentlich verändert, „aber viele, die sich früher nicht getraut haben, ihre Judenfeindlichkeit offen auszusprechen, trauen es sich jetzt“, sagte er. „Man sagt alles, was man denkt. Es gibt keinerlei Dämme mehr. Diese 20 Prozent sind sehr laut – und zum Teil auch gewaltbereit.“
Schuster warnte zudem vor der Gefahr, die extreme Parteien für das jüdische Leben in Deutschland darstellten. „Ich könnte mir vorstellen, bei einer erheblichen Regierungsbeteiligung extremer Parteien könnte für Juden ein Leben in Deutschland unmöglich werden“, sagte der Zentralratsvorsitzende.
In Bezug auf die AfD sagte er, diese habe zwar die Bundestagsresolution gegen Antisemitismus mitgetragen, die alle wesentlichen Punkte zum Schutz jüdischen Lebens enthalte, aber wohl nur, weil „der migrationsbedingte Antisemitismus benannt wird. Gut wäre es gewesen, wenn in der Resolution genauso der linksextreme und rechtsextreme Antisemitismus benannt worden wäre – dann hätte die AfD wohl Schwierigkeiten gehabt“, fügte Schuster hinzu.
Bemerkenswert sei die Ablehnung der Resolution durch das BSW. „Dieses Nein macht deutlich, wie dieses Bündnis tickt“, sagte Schuster. Dazu, dass er Parteichefin Sarah Wagenknecht Israelhass vorgeworfen habe, stehe er.
Der Zentralratspräsident kritisierte gegenüber den Zeitungen auch die Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender über den Gaza-Krieg. „Bilder generell, aber ganz konkret die aus dem Nahen Osten, wirken einfach mehr als Worte“, sagte er. Jeder Verletzte in Gaza tue ihm genauso leid wie ein verletzter Israeli, betonte Schuster. „Allerdings wird bei der Bildauswahl häufig einfach vergessen, dass die Menschen dort von der Hamas, von den eigenen Leuten, ganz bewusst als menschliche Schutzschilde benutzt werden“, fügte er hinzu. „Abschussrampen und Terrorzentralen werden unter Wohnhäusern, Krankenhäusern und Schulen angelegt. Viele dieser Gebäude werden gar nicht mehr in dieser Form genutzt und trotzdem heißt die Meldung: Angriff auf Schule.“ Fatal seien auch übernommene Narrative der Terrorgruppen, kritisierte Schuster die Berichterstattung.
Er betonte, dass Kritik an der israelischen Kriegsführung nicht antisemitisch sei, wenn sie nicht in entsprechende Denkmuster verfalle. „Ich empfehle die sogenannte Drei-D-Theorie“, sagte Schuster. „Demnach hat die legitime Kritik an Israel ihre Grenzen, wo Israel dämonisiert wird, wo an Israel Doppelstandards angelegt werden, die man an andere Länder nicht anlegt – und wo Israel delegitimiert, also dem Staat das Existenzrecht abgesprochen wird.“
© AFP