Das Bundesverfassungsgericht hat die Wahlrechtsreform der Ampel-Koalition zum Teil korrigiert. Die Karlsruher Richter kippten in ihrem am Dienstag verkündeten Urteil die darin beschlossene Aufhebung der Grundmandatsklausel. Hingegen bestätigte das Bundesverfassungsgericht die sogenannte Zweitstimmendeckung, womit womöglich einige Direktkandidaten trotz eines Siegs in ihrem Wahlkreis künftig nicht mehr im Bundestag vertreten sind.
An das Gericht hatten sich unter anderem Union und Linke gewandt, die von den Neuregelungen besonders betroffen sein könnten. (Az. 2 BvF 1/23 u.a.). So profitierte die Linke bei der vergangenen Bundestagswahl von der Grundmandatsklausel, die die „Ampel“ streichen wollte.
Diese Klausel garantiert, dass Parteien trotz Scheiterns an der Fünf-Prozent-Hürde mit der Stärke ihres Zweitstimmenergebnisses in den Bundestag kommen, wenn sie mindestens drei Direktmandate gewinnen. Die Regelung gilt nach dem Karlsruher Urteil nun auch bei der kommenden Bundestagswahl weiter.
Die stellvertretende Verfassungsgerichtspräsidentin Doris König sagte, die Aufhebung der Grundmandatsklausel sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, da eine Ungleichbehandlung vorliege. Das Gericht zielte dabei insbesondere auf die nur in Bayern antretende CSU ab, die mit der in allen Bundesländern außer Bayerns antretenden CDU eine gemeinsame Fraktion bildet.
Die CSU hätte nach den nun kassierten Ampel-Plänen kein Bundestagsmandat, wenn sie deutschlandweit weniger als fünf Prozent der Stimmen holen würde – bei der letzten Bundestagswahl holte die CSU bundesweit mit 5,2 Prozent nur knapp mehr. „Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die Sperrklausel so auszugestalten, dass sie unter den derzeitigen rechtlichen und tatsächlichen Bedingungen nicht über das zur Sicherung der Funktionsfähigkeit des Bundestages erforderliche hinausgeht“, sagte König. Mit Blick auf die enge Kooperation von CDU und CSU wäre die Abschaffung der Grundmandatsklausel zu weitgehend.
Das Bundesverfassungsgericht bestätigte dagegen die Änderungen bei der Zweitstimmendeckung. Durch die Reform werden nun die Bundestagssitze allein anhand der Zweitstimmen vergeben. Dies kann dazu führen, dass einige Direktkandidaten trotz des Siegs in ihrem Wahlkreis in Zukunft nicht mehr im Bundestag vertreten sind, was insbesondere ebenfalls die CSU angegriffen hatte.
König sagte, bei dieser Neuregelung liege keine Ungleichbehandlung vor. „Alle Wahlstimmen haben den gleichen Zielwert. Auch die Erfolgschancen der Erststimmen sind gleich.“ Die Einschätzung der Kläger, die Neuregelung belaste die Oppositionsparteien in besonderer Weise, teile der Senat nicht. „Das neue Verfahren dient der Zusammensetzung des Bundestages nach Parteienproporz ebenso wie das bislang geltende System der Ausgleichsmandate.“
Die Neuregelung führe lediglich dazu, dass im kommenden Bundestag bei unterstellt gleichbleibenden Wahlergebnissen von jeder Partei weniger Abgeordnete vertreten sein werden. Damit werde aber die gesetzlich festgelegte Größe des Bundestags eingehalten.
Von Parteien unabhängige Kandidaten können auch nach der Reform der Ampel-Koalition weiter im Fall eines Gewinns des Direktmandats in den Bundestag einziehen. Diese Regelung beanstandete Karlsruhe ebenfalls nicht. Sie sei gerechtfertigt, da sie das Wahlvorschlagsrecht aller Wahlberechtigten unabhängig von politischen Parteien als „Kernstück des Bürgerrechts auf aktive Teilnahme an der Wahl“ sichere.
Die Wahlrechtsreform war im März vergangenen Jahres mit den Stimmen der Ampel-Koalition beschlossen worden. Sie soll den Bundestag von derzeit 733 auf 630 Abgeordnete verkleinern. Durch Überhang- und Ausgleichsmandate war der Bundestag bei den vergangenen Wahlen immer weiter gewachsen.
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