Akuter Personalmangel, aber immer mehr Einsätze bringen Rettungsdienste und Notaufnahmen der Kliniken an die Belastungsgrenze – eine Reform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) soll das nun ändern. Bisher würden viele Patienten in Krankenhäuser eingeliefert, „die da nicht hingehören“, sagte Lauterbach am Dienstag in Berlin. Unter anderem sollen die bundesweite Notrufnummer 112 und der telefonische kassenärztliche Bereitschaftsdienst (116 117) vernetzt und so die Zahl der verzichtbaren Einsätze reduziert werden.
Patienten besser zu verteilen, ist Kernpunkt der Reform der medizinischen Notfallversorgung in Deutschland. Die Leitstellen von Rettungsdienst und kassenärztlichen Vereinigungen sollen künftig „wie kommunizierende Röhren“ arbeiten, sagte Lauterbach. Anrufer sollen „wechselseitig“ schneller von einer Leitstelle in die andere übergeben werden können, heißt es in dem Reformentwurf. „In Kürze“ soll ein erster Gesetzentwurf vorgelegt werden. Die Reform soll dann im Januar 2025 in Kraft treten.
Eine „systematische und softwaregestützte Ersteinschätzung“ solle ermitteln, ob der Patient ein Notfall sei und ob dieser eine Versorgung im Krankenhaus oder sogar des Rettungsdienstes benötige. „Im Notfall sollen Patientinnen und Patienten dort behandelt werden, wo sie am schnellsten und am besten versorgt werden“, betonte Lauterbach. Das müsse nicht immer das Krankenhaus sein.
„In vielen Fällen ist die notdienstliche Akutversorgung sehr viel sinnvoller“, sagte er. Häufig reiche auch der Besuch am nächsten Tag in der Hausarztpraxis. „Heute sind die Notfallzentren der Kliniken oft überfüllt, auch mit Patienten, die nicht im Krankenhaus versorgt werden müssten.“
25 bis 30 Prozent der Patienten in Notaufnahmen könnten Lauterbach zufolge auch in Arztpraxen versorgt werden oder seien gar keine Notfälle. Hier gebe es ein „unfassbar großes Potenzial, um Geld zu sparen und gleichzeitig die Versorgung der Patienten zu verbessern“, sagte Lauterbach.
Die Reform sieht auch vor, dass die notdienstliche Akutversorgung vereinheitlicht wird. Dafür sollen die kassenärztlichen Vereinigungen rund um die Uhr eine telemedizinische Versorgung und Hausbesuche sicherstellen. Außerdem sollen dem Entwurf zufolge „flächendeckend“ sogenannte Integrierte Notfallzentren eingerichtet werden, die aus der Notaufnahme eines Krankenhauses, einer kassenärztlichen Notdienstpraxis und einer zentralen Ersteinschätzungsstelle bestehen.
Nach einer Simulation des GKV-Spitzenverbandes wären für eine flächendeckende Versorgung bundesweit etwa 730 dieser Integrierten Notfallzentren nötig. „Entscheidend ist eine bessere Verteilung in ländlichen Gebieten, damit für alle Menschen ein Integriertes Notfallzentrum in erreichbarer Nähe liegt“, betonte Vorstand Stefanie Stoff-Ahnis.
Kritik an den Plänen eines durchgehenden Angebots für Telemedizin kam vom Hausärzteverband. „Wo sollen die Ärztinnen und Ärzte und die nichtärztlichen Fachkräfte herkommen, die in Zeiten des Fachkräftemangels das alles stemmen?“, sagte die Bundesvorsitzende Nicola Buhlinger-Göpfarth der „Rheinischen Post“ (Mittwochsausgabe). „Sollen Hausärztinnen und Hausärzte jetzt ihre Sprechstundenzeiten einschränken, um stattdessen Notfall-Telemedizin zu machen?“
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz sprach von einer „Trickkiste“, in die Lauterbach „erneut“ gegriffen habe, denn „die Erkrankten müssten am Telefon die richtigen Angaben machen können, um eine bedarfsgerechte Behandlung zu erhalten“, erklärte Vorstand Eugen Brysch.
Der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, Janosch Dahmen, lobte die geplanten Vorhaben. Diese würden die Notfallversorgung verbessern und die Beschäftigten im Rettungsdienst und den Notaufnahmen entlasten. Eine bundesweite Vernetzung der Leitstellen sei „lange überfällig“, betonte Dahmen.
Zuletzt im Dezember hatte das „Bündnis pro Rettungsdienst“ aus Verbänden und Gewerkschaften wegen eines „dramatischen Personalmangels“ in der Branche Alarm geschlagen. Dieser führe bei gleichzeitig steigenden Einsatzzahlen zu einer hohen Belastung und zu Engpässen bei den Notfalldiensten, sagte Oliver Hölters, Sprecher der Mitarbeiterseite der Caritas.
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