Ökonomen haben die Europäische Zentralbank (EZB) dafür kritisiert, dass diese trotz nachlassenden Preisdrucks und sich eintrübender Wirtschaft immer noch keine Leitzinssenkungen veranlasst hat. „Auf diese deutlich veränderte Datenlage hätte die EZB spätestens im April reagieren müssen“, erklärten Silke Tober und Sebastian Dullien vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. „Zumal EZB-Präsidentin Christine Lagarde stets betont, die EZB würde datenbasiert agieren“, fügten sie hinzu.
Die Notenbank hatte ihre Leitzinsen bei der Sitzung am 11. April zum fünften Mal in Folge unverändert gelassen. Dabei erklärte sie: Sollten die Daten auch in Zukunft darauf hindeuten, den Zielwert von 2,0 Prozent zu erreichen, „wäre eine Lockerung der aktuellen geldpolitischen Straffung angemessen“.
Das IMK argumentierte, dass der Zielwert in Deutschland bereits im vergangenen Monat hätte erreicht werden können, wäre die Mehrwertsteuer auf Erdgas und Fernwärme nicht wieder auf ihren Normalsatz von 19 Prozent angehoben worden. Die Erhöhung habe einen Einfluss von 0,2 Prozentpunkten gehabt. Die Inflationsrate in Deutschland lag im April bei 2,2 Prozent.
Im gesamten Euroraum, für den die EZB zuständig ist, stagnierte die Teuerung im April allerdings bei 2,4 Prozent. Dabei stiegen die Lebensmittelpreise wieder stärker als im Vormonat und die Energiepreise sanken weniger deutlich. Auch liegt die Inflation in Deutschland gemäß der EU-einheitlichen Berechnungsmethode mit 2,4 Prozent leicht über dem Wert des Statsistischen Bundesamts.
Trotz des Stillstands zwischen März und April rechneten der wissenschaftliche Direktor des IMK Dullien und Inflationsexpertin Tober mit einem weiter nachlassenden Preisdruck. Ein Umschwenken auf einen Zinssenkungskurs bei der nächsten EZB-Ratssitzung im Juni sei „angesichts des schnellen Rückgangs der Inflation und der geldpolitisch stark gedämpften Wirtschaftsaktivität überfällig.“
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