Bundesverfassungsgericht verhandelt über neues Wahlrecht

Die Wahlrechtsreform der Ampelkoalition hat das Bundesverfassungsgericht beschäftigt.

Die Wahlrechtsreform der Ampelkoalition hat am Dienstag das Bundesverfassungsgericht beschäftigt. Am ersten der auf zwei Tage angelegten Verhandlung in Karlsruhe kamen zunächst vor allem jene zu Wort, die gegen die Reform vor Gericht gezogen waren – Vertreter der Unionsparteien und der Linken. Dabei hagelte es Vorwürfe in Richtung der Bundesregierung. (Az. 2 BvF 1/23 u.a.)

So beschuldigte der CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, Alexander Dobrindt, die parlamentarische Mehrheit, „eindeutig für die eigene Sache tätig geworden“ zu sein. Auch der Linken-Politiker Gregor Gysi äußerte den Verdacht, dass eine Mehrheit missbraucht worden sei, „um die Möglichkeit zu schaffen, zwei Parteien aus dem Bundestag zu drängen.

Mit diesen zwei Parteien meinte Gysi seine eigene Partei und die CSU. Beide könnten von der im vergangenen Jahr vom Parlament beschlossenen Reform besonders betroffen sein. Denn diese besteht aus zwei Kernpunkten – der Abschaffung von Überhang- und Ausgleichsmandaten sowie der Abschaffung der sogenannten Grundmandatsklausel.

Ziel der Reform ist, dass der Bundestag kleiner werden und in Zukunft nur noch 630 Abgeordnete zählen soll. Bislang war es so, dass eine Partei Überhangmandate bekam, wenn sie mehr Wahlkreise gewann, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis Sitze zustanden. Für die anderen Fraktionen gab es dann Ausgleichsmandate. So wurde der Bundestag immer größer.

Um dieses Anwachsen zu verhindern, sollen die Mandate zukünftig komplett anhand der Mehrheitsverhältnisse bei den Zweitstimmen vergeben werden. Wahlkreisgewinner ziehen also nur dann in den Bundestag ein, wenn ihr Mandat von dem Kontingent gedeckt ist. Es könnte passieren, dass einige von ihnen keinen Sitz im Bundestag erhalten.

Dies könne zu „verwaisten Wahlkreisen“ führen, befürchtete Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). So könnten Regionen unterrepräsentiert bleiben. Vor allem seien Parteien betroffen, die nur in einem Bundesland zur Wahl antreten, wie die CSU.

Auch der Wegfall der Grundmandatsklausel könnte die CSU treffen, wenn sie ein besonders schlechtes Ergebnis holen sollte. Vor allem aber gefährdet er die Linkspartei. Bislang zogen Parteien auch dann mit der Stärke ihres Zweitstimmenergebnisses in den Bundestag ein, wenn sie an der Fünfprozenthürde scheiterten, aber mindestens drei Direktmandate gewannen.

Das war 2021 bei der Linken der Fall. Sie bildete zunächst eine Fraktion, bevor diese sich wegen des Überlaufens von Linke-Abgeordneten zum neuen Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) auflöste. Inzwischen formen die Linke-Abgeordneten im Bundestag eine sogenannte Gruppe.

Das Ende der Grundmandatsklausel wurde 2023 recht kurzfristig beschlossen. Auch das beklagen Union und Linke. „Mir ist die Tragweite im Hinblick auf die CSU in diesem Augenblick nicht klar gewesen“, berichtete CDU-Chef und Unionsfraktionschef Friedrich Merz. Dagegen sagte die Bevollmächtigte der Bundesregierung, Sophie Schönberger, der Sachverhalt sei „extrem einfach – die Fünfprozenthürde gilt für alle, es gibt keine Ausnahme mehr“.

Neben der bayerischen Staatsregierung sowie der CSU, 195 Mitgliedern der Unionsfraktion im Bundestag, der Linkspartei und ihrer früheren Fraktion hatten sich Linken-Abgeordnete und mehr als 4000 Privatpersonen, gebündelt vom Verein Mehr Demokratie, an das Gericht gewandt.

Auch Politikwissenschaftler wurden am Dienstag befragt. Die Forschung ergab dabei kein eindeutiges Bild, wie beispielsweise Frank Decker von der Universität Bonn berichtete. Für die meisten Wählerinnen und Wähler sei bei der Erststimme die Partei und nicht die Person entscheidend. Es könne sie aber stören, wenn ein Wahlkreissieger kein Mandat im Bundestag bekomme.

Dem könnten Parteien vorbeugen, indem sie Kandidaten über die Liste absicherten, sagte Decker. Auch aktuell seien einige Wahlkreise mit mehr Abgeordneten vertreten als andere.

Vertreter der Regierungsfraktionen verteidigten die Reform. „Das Wahlsystem ist fair“, sagte etwa der SPD-Abgeordnete Sebastian Hartmann vor Beginn der Verhandlung. Es gebe „keinerlei Verzerrung mehr“. Die Menschen in Deutschland hätten „kein Verständnis dafür, wenn der Bundestag immer größer wird“, sagte der FDP-Politiker Konstantin Kuhle.,Die Verhandlung soll am Mittwoch fortgesetzt werden. Ein Urteil fällt erfahrungsgemäß einige Monate nach der mündlichen Verhandlung, Vertreter der Fraktionen rechneten noch in diesem Jahr damit. Viel Zeit hat das Gericht nicht – denn schon im Spätsommer oder Herbst 2025 soll die nächste Bundestagswahl stattfinden.
© AFP

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