Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am Mittwoch in Leipzig über den Fall der ehemaligen KZ-Beschäftigten Irmgard F. verhandelt. Die 99-jährige frühere Sekretärin des NS-Konzentrationslagers Stutthof legte Revision gegen ihre Verurteilung durch das Landgericht Itzehoe ein. Dieses hatte sie im Dezember 2022 der Beihilfe zum Mord in mehr als zehntausend Fällen schuldig gesprochen und eine Jugendstrafe von zwei Jahren Haft auf Bewährung verhängt. (Az. 5 StR 326/23)
Der BGH beschäftigt sich nun mit einer grundsätzlichen Frage – nämlich ob die Arbeit als Sekretärin in einem Konzentrationslager, das kein reines Vernichtungslager war, als Beihilfe zum Mord verurteilt werden kann. F. hatte in den Jahren 1943 bis 1945 als Stenotypistin für den Kommandanten im KZ Stutthof gearbeitet, sie war damals 18 bis 19 Jahre alt. Deshalb fand das Verfahren in Itzehoe gegen sie vor einer Jugendkammer statt.
Im Lager Stutthof bei Danzig hatte die SS während des Zweiten Weltkriegs mehr als hunderttausend Menschen unter erbärmlichen Bedingungen gefangen gehalten, darunter viele Juden. Etwa 65.000 starben nach Erkenntnissen von Historikern. Die genaue Zahl lässt sich nicht mehr feststellen.
Stutthof war berüchtigt für eine völlig unzureichende Versorgung der Gefangenen, die von den Verantwortlichen zu Tötungszwecken absichtlich herbeigeführt wurde. Die meisten Menschen starben an Hunger, Durst, Seuchen und schwerster Sklavenarbeit. Es gab dort aber auch Gaskammern und eine Genickschussanlage, in der kranke und zur Zwangsarbeit nicht mehr fähige Gefangene systematisch und gezielt getötet wurden.
Das Landgericht Itzehoe war davon überzeugt, dass F. durch das Erledigen von Schreibarbeit in der Kommandantur die Haupttäter willentlich dabei unterstützt habe, Gefangene durch Vergasungen, durch die Schaffung lebensfeindlicher Bedingungen im Lager, durch Transporte in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und durch Verschickung auf sogenannte Todesmärsche grausam zu töten oder dies versucht zu haben. Ihre Arbeit sei für die Organisation des Lagers und der systematischen Tötungshandlungen nötig gewesen.
F. wandte sich nach dem landgerichtlichen Urteil an den BGH, um es höchstrichterlich überprüfen zu lassen. Der Generalbundesanwalt beantragte die Revisionshauptverhandlung. Für Revisionen gegen Urteile des Landgerichts Itzehoe ist der fünfte Strafsenat des BGH in Leipzig zuständig, weshalb die Verhandlung dort und nicht am Hauptsitz in Karlsruhe begann. Ein Urteil wurde am Mittwoch noch nicht gesprochen. Es soll nach Gerichtsangaben in rund drei Wochen am 20. August fallen.
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