Am Wohnungsbau-Tag hat ein Bündnis aus Unternehmen, Gewerkschaft und Mieterbund erneut den Notstand ausgerufen: „Unsere Unternehmen sind unter den aktuellen Rahmenbedingungen gezwungen, den Neubau einzustellen, denn er ist nicht mehr bezahlbar – weder für die Bauherren noch für die künftigen Mieter“, erklärte am Donnerstag der Präsident des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft (GdW), Axel Gedaschko. Zugleich bleibe die Nachfrage hoch – „die dramatische Lage auf den Wohnungsmärkten wird sich in den kommenden Jahren also weiter zuspitzen.“
„Die Talsohle im Baugewerbe ist noch lange nicht durchschritten, vor allem nicht beim Wohnungsbau“, sagte auch Handwerkspräsident Jörg Dittrich der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, sagte mehreren Zeitungen, viele Politiker redeten bereits von „Signalen einer Belebung des Wohnungsbaus, dabei ist die Talfahrt noch im vollen Gang“.
Ähnlich kritisch äußerte sich die Bauindustrie. „Die Genehmigungen und Baufertigstellungen gehen im dritten Jahr drastisch zurück, die Geschäftserwartungen sind auf einem historischen Tiefpunkt und der Preiskampf um neue Aufträge nimmt teils unwirtschaftliche Züge an“, sagte Verbandspräsident Müller der „Augsburger Allgemeinen“ sowie der „Rheinischen Post“. Nötig seien temporär eine staatliche Förderung und mittelfristig eine Entschlackung von Vorschriften, Bürokratie und Anforderungen an Gebäude, formulierte er seinen Appell an die Politik.
Auf dem Wohnungsbau-Tag in Berlin waren neben Immobilien- und Wohnungsbauverbänden auch der Mieterbund und die Gewerkschaft IG BAU vertreten. Das Bündnis stellte zwei Studien zur Bedeutung des Sektors für Wirtschaft und Gesellschaft vor.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ermittelte, dass 6,6 Millionen Arbeitsplätze direkt oder indirekt am Wohnungsbau hängen. Zudem generiere die Branche 17 Prozent der gesamten Steuereinnahmen in Deutschland. Insgesamt sei der Beitrag zur deutschen Wirtschaft vergleichbar mit dem der Automobilindustrie.
Eine Untersuchung des Kieler Bauforschungsinstituts ARGE legt nahe, dass die Krise im Wohnungsbau und die daraus folgende Wohnungsnot nicht nur wirtschaftlich, sonder auch sozial längst ein „politischer Risikofaktor“ ist. Jeder dritte Miethaushalt sei mit den Wohnkosten „überlastet“, elf Prozent der Bevölkerung lebten in überbelegtem Wohnraum. „Gelingt es nicht, die Krise abzuwenden, folgt den wohnungsbaupolitischen Defiziten ein sozialpolitisches Versagen“, warnte das Wohnungsbau-Bündnis.
Konkret forderte es eine „sofortige Sonderförderung des Wohnungsneubaus“ in Höhe von jährlich 23 Milliarden Euro: 15 Milliarden Euro für 100.000 neue Sozialwohnungen und acht Milliarden Euro für den Neubau von 60.000 bezahlbaren Wohnungen. Gedaschko vom GdW schlug ein „breit angelegtes Zinsprogramm“ vor. „Ein Zinssatz von einem Prozent könnte die Bautätigkeit enorm ankurbeln.“
Die Baukosten waren vor allem im Zuge des russischen Angriffs auf die Ukraine stark gestiegen. Zugleich stiegen die Bauzinsen stark – Folge der Leitzinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB), die damit auf die allgemein hohe Inflation reagiert hatten. Die Unternehmen klagen außerdem über hohe Belastungen durch immer mehr Auflagen.
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