Düsseldorf – Wie das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf am Dienstag mitteilte, stiegen die realen Tariflöhne nach den bisherigen Abschlüssen um 3,1 Prozent. Das sei der stärkste Anstieg seit Anfang der 1990er Jahre.
Nominal stiegen die Löhne laut WSI im ersten Halbjahr 2024 um 5,6 Prozent. Damit lagen sie fast exakt auf dem Niveau des Vorjahres (5,5 Prozent). Da die Inflationsrate mit 2,4 Prozent allerdings auf einem durchschnittlich deutlich niedrigerem Niveau war als 2023, steht in diesem Jahr ein sattes reales Lohnplus, nach einem Minus von 0,4 Prozent im Vorjahr.
„In diesem Jahr schaffen die kräftigen Reallohnzuwächse erstmals einen deutlichen Ausgleich für den massiven Reallohnrückgang der Jahre 2021 und 2022 und das kleine Minus 2023“, erklärte der Leiter des WSI-Tarifarchivs, Thorsten Schulten. 2021 gingen die Reallöhne um 1,4 Prozent, 2022 um 3,9 Prozent zurück.
Diese Kaufkraftverluste konnten etwa zur Hälfte kompensiert werden. Insgesamt liege das preisbereinigte Niveau der Tariflöhne aber „immer noch deutlich unter dem Spitzenwert des Jahres 2020“, erklärten die Forschenden. Sie sehen weiterhin einen „erheblichen Nachholbedarf“ bei der Tariflohnentwicklung.
Laut Tarifarchiv wurden im abgelaufenen Halbjahr für etwa 8,1 Millionen Beschäftigte neue Tarifverträge abgeschlossen. Hinzu kommen für weitere 11,6 Millionen Beschäftigte Tarifsteigerungen, die bereits 2023 oder früher vereinbart worden waren und im Laufe des Jahres wirksam werden.
Die Neuabschlüsse in diesem Jahr waren mit Tariflohnsteigerungen von durchschnittlich 7,6 Prozent besonders hoch. Das liege vor allem daran, dass diese Abschlüsse in großen Tarifbranchen wie dem Bauhauptgewerbe, dem Einzelhandel und dem Groß- und Außenhandel getätigt wurden, deren vorherige Tariferhöhungen bereits mehrere Jahre zurückgelegen hatten.
Einen wichtigen Beitrag zur Reallohnsteigerung leisteten nach Angaben des WSI auch die gezahlten Inflationsausgleichsprämien. Diese steuer- und abgabenfreien Einmalzahlungen variierten je nach Branche zwischen 100 und 3000 Euro. Die Sonderzahlungen können bis Ende 2024 ausgezahlt werden, so dass sie in diesem Jahr noch einmal stark zur Geltung kommen, erklärten die Forschenden.
Das WSI sieht die Zahlungen jedoch als „zweischneidiges Schwert“. Sie hätten zwar kurzfristig dabei geholfen, Kaufkraftverluste zu begrenzen, und maßgeblich zum Lohnwachstum beigetragen. „Schon jetzt ist allerdings auch absehbar, dass sich der Wegfall der Inflationsausgleichsprämien im Jahr 2025 stark dämpfend auf die Tariflohnentwicklung auswirken wird“, erklärte Schulten.
Grundsätzlich zeige die Auswertung, dass die Tarifbindung ein wichtiges Instrument sei, um für viele Menschen materielle gesellschaftliche Teilhabe zu gewährleisten. Sie reduziere Einkommensungleichheit und stabilisiere die Gesellschaft als Ganzes.
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