Frauen sind in Deutschland einer Studie zufolge stärker von Einsamkeit betroffen als Männer. Die Corona-Pandemie hat den sogenannten Gender Loneliness Gap noch einmal verstärkt, wie aus dem am Donnerstag vom Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) vorgestellten Einsamkeitsbarometer hervorgeht. Demnach verstärkte sich die Einsamkeitsbelastung unter Frauen von 8,8 Prozent im Jahr 2017 auf 33,2 Prozent im Corona-Jahr 2020, ging 2021 dann aber wieder auf 12,8 Prozent zurück.
Die Quote unter Männern lag jeweils teils deutlich darunter. Sie stieg von 6,6 Prozent (2017) auf 23,1 Prozent (2020) und sank 2021 auf 9,8 Prozent. Das ist der Anteil der Befragten, die angaben, sich „häufiger als manchmal einsam zu fühlen“.
Insgesamt ist in der Pandemie die empfundene Einsamkeit in der Bevölkerung unter allen Bevölkerungsgruppen sprunghaft gestiegen. Auffällig ist aber, dass dies vor allem das erste Pandemie-Jahr 2020 betrifft. Im Jahr 2021, aus dem die bisher neuesten Zahlen stammen, gingen die Werte wieder stark zurück und näherten sich den Vor-Corona-Jahren an.
Besonders stark fiel der Pandemie-bedingte Anstieg bei jüngeren Menschen aus. Im Jahr 2020 wies die Gruppe der 18- bis 29-Jährigen mit 31,8 Prozent die höchste Einsamkeitsquote auf, bei den über 75-Jährigen stieg die Zahl auf 22,8 Prozent. In den Jahren vor der Pandemie waren ältere Menschen noch deutlich häufiger einsam. „Einsamkeit ist keine Frage des Alters“, sagte Paus.
Die Grünen-Politikerin nannte Einsamkeit eine „Herausforderung für die gesamte Gesellschaft“. Das Thema müsse „aus der Tabuzone“ geholt werden. Es betreffe mehrere Millionen Menschen und habe sich in der Pandemie verstärkt. „Wir dürfen die Augen vor ’sozialem Long Covid‘ nicht verschließen“, sagte Paus. Sie kündigte eine „Aktionswoche gegen Einsamkeit“ an und eine Social-Media-Kampagne an, die besonders jüngere Menschen erreichen soll.
Überdurchschnittlich stark von Einsamkeit betroffen sind der Studie zufolge auch Alleinerziehende, Arbeitslose, gering Qualifizierte, chronisch Kranke sowie Menschen mit Migrations- und Fluchterfahrung. Kaum Unterschiede gibt es demnach zwischen Stadt und Land sowie zwischen den ost- und westdeutschen Bundesländern.
Unter Menschen, die sich häufiger einsam fühlen, ist das Vertrauen in politische Institutionen, Parteien, die Polizei und das Rechtssystem signifikant geringer ausgeprägt. So sei auch die erwartete Wahlbeteiligung unter einsamen Menschen unterdurchschnittlich, heißt es in dem Bericht. Ministerin Paus sagte: „Einsamkeit schadet unserer Demokratie.“
SPD-Parlamentsgeschäftsführerin Katja Mast sagte, dass Einsamkeit „noch vielmehr ans Licht und in unser aller Bewusstsein“ rücken müsse. „Mich beunruhigt der Befund, dass Einsamkeit die Einstellung zur Demokratie verändert“, sagte Mast der Nachrichtenagentur AFP. „Einsamkeit kostet offenbar Vertrauen in den Staat. Hier werden wir mehr tun müssen – auf allen staatlichen Ebenen.“
Paus kennt Einsamkeit laut ihren Worten auch aus eigener Erfahrung. „Sie wissen, ich bin alleinerziehend. Und da gab es schon Phasen, wo ich tatsächlich viel gearbeitet hatte und dann eben die Restzeit natürlich meinem Sohn widmen wollte“, sagte sie dem TV-Sender Welt. „Und dann bleibt eben nicht mehr viel Zeit für sonstige private Kontakte.“
Die familienpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Silvia Breher (CDU), monierte, dass eine Aktionswoche nicht zur Bekämpfung des Problems ausreiche und fordert stattdessen „konkrete Handlungen“. Eine 2021 auf den Weg gebrachte Strategie gegen Einsamkeit müsse nun endlich umgesetzt werden.
Die FDP-Gesundheitsexpertin Christine Aschenberg-Dugnus sprach von „besorgniserregenden Untersuchungsergebnissen“, die einmal mehr zeigten, warum eine Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen „dringend notwendig“ sei. „Wir sehen heute, dass einige Entscheidungen großen sozialen Schaden angerichtet haben.“
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz nannte Einsamkeit „vielleicht die größte Volkskrankheit in Deutschland“. „Einsamkeit wirkt sich nicht nur auf die Psyche aus. Nicht selten führt sie auch zu körperlichen Beschwerden.“ Die Stiftung fordert „aktives kommunales Handeln“, um Seniorinnen und Senioren sowie Pflegebedüftige besser vor Einsamkeit zu schützen.
© AFP