Krefeld – Gleichzeitig entschied sich die Bonner „Montag Stiftung Urbane Räume“ (MUR) mit dem Pilotprojekt „Initialkapital für eine chancengerechte Stadtteilentwicklung“ neue Wege zu gehen. Beide Akteure kamen zusammen, und 2014 entschied die Krefelder Politik einstimmig die Vergabe des Grundstücks an der Lewerentzstraße in Erbpacht – die Gründung der Urbanen Nachbarschaft Samtweberei gGmbH (UNS) wurde besiegelt. Das ist nun zehn Jahre her. Am Samstag, 7. September, feiert das Projekt von 14 bis 22 Uhr mit einem großen Fest rund um die alte Samtweberei den zehnten Jahrestag.
Das ist das Initialkapital-Prinzip: Für mehr Chancengleichheit
„Das Initialkapital-Prinzip wurde damals hier in Krefeld zum ersten Mal von uns getestet – inzwischen konnten wir am Beispiel der Alten Samtweberei fünf weitere Projekte an anderen Orten umsetzen“, erzählt Johanna Debik aus dem Vorstand der MUR. „Mit allen Interessierten besuchen wir in einem ersten Schritt immer Krefeld. Und dieser Besuch wirkt wie Zauberstaub: Wer einmal hier war, möchte das gleiche auch.“ Die Idee des Initialkapital-Prinzips ist es, durch Investitionen in eine Immobilie dauerhaft eine soziale Rendite zu erzielen, die direkt in das umliegende Quartier zurückfließt und hier zu mehr Chancengleichheit beiträgt. In der Praxis bedeutet das, dass die Stadt Krefeld als Eigentümerin des Grundstücks der Samtweberei dauerhaft auf die Erbpacht verzichtet – das sind mehrere Zehntausend Euro im Jahr.
In erster Linie durch die Vermietung von Wohnraum und Gewerbeflächen kann die Urbane Nachbarschaft Samtweberei gGmbH aus der erzielten Rendite, Überschüsse an die NachbarschaftStiftung weiterleiten. Diese setzen mit den Geldern soziale Projekte um. „Die Stadt Krefeld kann von diesem Modell nur profitieren. Denn anders als es zum Beispiel oft bei Förderprogrammen ist, schaffen wir so eine Kontinuität im Quartier“, sagt Beatrice Kamper, Leiterin des städtischen Fachbereichs Stadt- und Verkehrsplanung. „Das wirkt wie ein natürlicher Motivationsgeber. Nicht nur für die Menschen, die hier Eigentum haben, sondern auch für die Leute, die im Quartier leben.“
Diese Menschen leben und arbeiten in der Alten Samtweberei
Die Alte Samtweberei stellt in diesem Rahmen ein umfangreiches Zuhause dar – insgesamt liegen im Denkmal 37 Wohnungen zwischen 30 und 120 Quadratmetern, von denen ein Drittel gefördert sind. „Wir schauen bewusst nach Mietern, die ins Projekt passen und auch Lust haben, ehrenamtliche Tätigkeiten hier zu übernehmen“, erklärt Heike Schätze als Geschäftsführerin der Urbanen Nachbarschaft Samtweberei. „Die Fluktuation ist sehr gering. Wer einmal hierher zieht, der bleibt in der Regel.“ Ebenfalls zum Komplex gehört das Pionierhaus mit rund 25 Büros und Ateliers. Bewusst haben sich die Initiatoren dazu entschieden, beim Projektstart hier nur geringe Sanierungen vorzunehmen. Dadurch können die Räume für relativ niedrige Mieten abgegeben werden.
Das zieht viele unterschiedliche Gewerke an: Neben Hobbykünstlern, die Raum für Ateliers suchten, gehören Kreativschaffende aus dem Medien- und Kulturbereich, Start-Ups und kleine Beratungs- sowie Dienstleistungsunternehmen zu den Mietern. „Wir haben zum Beispiel Trauerbegleiter oder jemanden, der Personal Training anbietet, hier bei uns“, so Schätze weiter. Das benachbarte Torhaus bietet einen höheren Standard und nimmt damit auch mehr Mieten ein. Auf 630 Quadratmetern sind insgesamt fünf Mietparteien untergebracht. Jeder gewerbliche Mieter hat dabei eine besondere Passage im Vertrag stehen: Denn mit den „Viertelstunden“, die je nach Quadratmeteranzahl anfallen, muss das Ehrenamt bedient werden. Egal, ob die Hilfe in der Suppenküche oder die Mitarbeit am „Welcome-Point“, der jeden Freitag stattfindet, die Möglichkeiten sind vielfältig. „Im Rahmen des Jubiläums wird es zum Beispiel einen eigenen Samtweberei-Honig geben – das Etikett wurde im Rahmen von Viertelstunden erstellt“, verrät Schätze.
Allen Mietern in der Samtweberei – egal ob gewerblich oder privat – steht das Nachbarschaftszimmer zur Verfügung. Der rund 180 Quadratmeter große Begegnungsraum im Erdgeschoss des Torhauses ist mit Tischen und Stühlen sowie einer Küche ausgestattet. Er strahlt Wärme und Geborgenheit aus. „Hier finden viele unserer sozialen Angebote statt“, erklärt Dietmar Meinel von der NachbarschaftStiftung. Meinel selbst ist vor einem Jahr aus Essen nach Krefeld gezogen und lebt heute am Alexanderplatz. Er entschied, sich als ehrenamtliches Vorstandsmitglied in die Stiftung wählen zu lassen. „Das hier ist ein toller Ort, und er hat es mir leichter gemacht, hier in Krefeld anzukommen“, beschreibt er. „Solche Initiativen strahlen ins gesamte Viertel – sie tun gut.“ Neben Angeboten, die die NachbarschaftStiftung eigenständig organisiert, wirken viele Partner auf dem Gelände, zu dem auch die offene Shedhalle gehört. Der Mobifant ist zum Beispiel für mehrere Wochen im Jahr mit der offenen Jugendarbeit hier und betreut Gemüsebeete im Garten. Auch die Krefelder Kindertafel, die Bürgerinitiative Rund um St. Josef, Emmaus, der Bürgerverein Bahnbezirk oder die Stadt Krefeld nutzen den besonderen Ort für ihre Angebote. „Davon lebt die Samtweberei“, beschreibt Meinel weiter.
Städtebauliche Prozesse im Viertel: Neues Verantwortungsgefühl
Dass die Alte Samtweberei nicht nur sozial ins Viertel wirkt, sondern auch städtebauliche Prozesse anstößt, zeigt eine Bilanz der Stadt Krefeld. Die Alte Samtweberei galt im Jahr 2009 als Initialprojekt im Städtebaulichen Entwicklungsgebiet, das die Stadt im Rahmen der Beantragung von Fördergeldern von „Stadtumbau West“ erarbeitet hatte. Bereits vor der Kooperation mit der MUR konnten zum Beispiel die Lewerentzstraße durch Baumpflanzungen aufgewertet und ein Bolzplatz am Deutschen Ring als Treffpunkt im Viertel geschaffen werden. Auch die Corneliusstraße wurde aufwendig umgebaut und der Schulhof der Josefschule auf Basis eines Bürgerdialogs neugestaltet. Inzwischen erhielt auch die Blumenstraße ein Make-Over: Heute gibt es hier mehr Bäume, buntgestaltete Baumbeete, die von Anwohnern gepflegt und gestaltet werden, und weniger Parkplätze. Der Blumenplatz wurde durch einen Spielplatz aufgewertet und Glas- und Papiercontainer unter die Erde verlegt. Erst kürzlich wurde die Neugestaltung der Sackgasse auf der Lewerentzstraße abgeschlossen. Gemeinsam mit der Hochschule entsteht hier ein Ort der Begegnung, der gleichzeitig Möglichkeiten bietet, auf dem Gelände Veranstaltungen durchzuführen.
Viele Eigentümer im Quartier zogen nach: Über das Förderprogramm beantragten sie Zuschüsse, um ihre Fassaden neu zu gestalten und durch Begrünung aufzuwerten. „Wenn wir als Stadt in ein Viertel investieren, dann zeigen wir, dass wir das Quartier wertschätzen. Wenn wir dabei die Bürgerinnen und Bürger mit einbeziehen, schaffen wir ein neues Verantwortungsgefühl“, schließt Kamper ab. „Das ist hier in der südlichen Innenstadt deutlich zu spüren: Wer dabei hilft, es schön zu machen, möchte auch, dass es schön bleibt. Die Alte Samtweberei war auf diesem Weg ein wichtiges Initialprojekt.“