Krefelder Museum untersucht archäologischen Sensationsfund

Das Deutsche Textilmuseum Krefeld untersucht einen archäologischen Sensationsfund aus der Hansestadt Bremen.

Krefeld – „Was wir zeigen, ist nur ein Ausschnitt von 7.000 Textilfragmenten und zählt damit zu den größten Textilfundkomplexen Deutschlands. Sie sind um 1600 datiert“, sagt Museumsleiterin Dr. Annette Schieck bei der Präsentation. Für eine Erweiterung Bremens musste zum Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts der Stadtgraben gefüllt werden. Das passierte mit Abfall unterschiedlichster Art – ein Glücksfall für die heutige Wissenschaft. Denn die dort über 400 Jahre später entdeckten Textilfragmente stammen von Kleidungsstücken und Alltagsgegenständen „normaler“ Bürger. Die nun zu erstellende Dokumentation im Deutschen Textilmuseum Krefeld ermöglicht so einen einzigartigen Blick in den Alltag der Hansestadt und ihrer Menschen in der Frühen Neuzeit (1500-1800).

Auf einem großen Tisch der museumseigenen Restaurierungswerkstatt liegen einige dieser Stück – gereinigt, getrocknet, jedes Objekt auf einem festen Papierblatt. Aus der Entfernung sehen sie einfach nur nach braunen Fetzen aus. Eine Sensation stellt man sich anders vor. In Museen können Besucher oft prachtvolle Roben und Kleider hauptsächlich aus adligem oder kirchlichem Besitz betrachten. Diese wurden über Generationen im Familien- oder Kircheneigentum weitergeben. „Textilien hatten einen hohen Wert. Sie waren kostbar, wurden gepflegt und repariert“, so die Museumsleiterin. Die Kostbarkeit dieser braunen Fetzen liegt in ihnen selbst begründet und der Chance, ungefiltert in die Vergangenheit schauen zu können, in den Alltag von einfachen Menschen, die einem Handwerk nachgingen, in den Häusern am Stadtgraben wohnten. Jeder Fetzen bildet für sich einen Mosaikstein eines scheinbar unspektakulären Lebens, das seinen Niederschlag wohl in keiner historischen Geschichtsquelle fand.

Schon die nahe Anschauung der Fragmente eröffnet auch dem ungeschulten Betrachter weit mehr als auf den ersten Blick: unterschiedliche Muster, Strukturen, Materialien wie Seide und Wolle, an manchem Teil ist sogar noch Farbe erkennbar. Die Aufgabe von Katja Wagner, Textilrestauratorin beim Deutschen TextilmuseumKrefeld, besteht nun darin, rund 1.000 ausgewählte Stücke zu erfassen, zu beschreiben, zu analysieren. Etwa 300 hat sie momentan bearbeitet. Bereits während ihres Studiums beschäftigte sie sich an der Technischen Hochschule Köln mit einigen dieser Objekte, die 2004/2005 bei Straßenbauarbeiten in Bremen ans Tageslicht gelangten. Ihre Abschlussarbeit an der Universität widmete Wagner dem Thema der Aufbewahrung des außerordentlichen Fundes. In der Zwischenzeit wurde sie als Textilrestauratorin in Krefeld angestellt. Dank einer Förderung durch eine norddeutsche Stiftung konnte die Landesarchäologie Bremen nun den Auftrag für ihre Untersuchungen nach Krefeld vergeben.

Eines der ausgewählten Textilfragmente war wohl einst ein Pullover. „Das Muster ist mit einem heutigen Norweger-Pulli vergleichbar“, sagt Wagner. Daneben liegt ein Fäustling, ein Handschuh, ebenso wie der Pulli aus Wolle. Anhand von im einstigen Stadtgraben entdeckten Münzen und niederländischen Tonpfeifen lassen sich die Objekte auf eine Zeit um das Ende des 16. bis Anfang des 17. Jahrhunderts datieren. Die zeitliche Einordnung der Funde kann wegen der Erweiterung der Stadt auf einen Zeitraum zwischen 1594 und 1629 sogar konkretisiert werden, ein überschaubares Zeitfenster. „Die gefundenen Textilen sind also vor 1629 entstanden“, sagt Annette Schieck. Mit dem Wegwerfen in den Graben überdauerten viele Stücke unverändert die Jahrhunderte. Die pflanzlichen Gewebe wie Leinen verrotten zwar rasch, Wolle und Seide hielten sich jedoch über 400 Jahre im feuchten Milieu des einstigen Stadtgrabens.

Unter einem USB-Mikroshop verraten die Stücke der Expertin Katja Wagner noch vieles mehr. Auf dem Monitor sind einzelne Seidenfäden einer Borte, eines Aufsatzes für Kleidungsstücke, klar zu sehen. Die Detailaufnahme lässt auch Verarbeitungsmethoden erkennen, wie bei der Wolle, die so bearbeitet worden ist, damit sie flauschiger für den Träger wird. An diesem Punkt endet jedoch die Aufgabe für Wagner – zunächst. In einem weiterführenden Forschungsprojekt könnte nun – beispielsweise – die Herkunft der Wolle näher untersucht werden: Von welcher Schafart die Wolle stammt, könnte durch einen DNA-Test herausgefunden werden. Käme sie aus England – nur eine Vermutung – wäre es ein Indiz für Handelswege in die Hansestadt an der Weser. Auch die grundsätzliche Frage, wer diese Reste in den Graben geworfen hat, bleibt eine spannende Detektivarbeit. „Es waren wohl Teile einer Änderungsschneiderei“, vermutet Schieck. Denn einiges sei Abfall, andere Stücke für die Wiederverwendung vorgesehen. „An einer Borte befinden sich noch Überbleibsel der ursprünglichen Grundlage“, sagt Wagner und deutet auf die spärliche, aber interessante Spur. Diese und viele andere Hinweise mögen vielleicht eines Tages ansatzweise dazu beitragen, sich ein größeres Bild vom Alltag um 1600 in der Hansestadt Bremen zu machen.

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