Duisburg – Die große Bedeutung der Stadt auch ohne Rheinhafen nach der Rheinverlagerung im späten Mittelalter? Der Boom der Region bereits vor der glorreichen Kohle- und Stahlzeit? Es sind nur einige Beispiele, die für die Geschichte des Rhein-Ruhr-Raums überraschend sein könnten. Hinweise dafür haben Forschende der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und der Stadt Duisburg in den Ausgrabungen der vergangenen 12 Jahre gesammelt. Jetzt beginnen sie mit der Auswertung und Einordnung der Funde in einem der größten stadtarchäologischen Projekte Deutschlands. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert das Vorhaben mit etwa 900.000 Euro in den kommenden drei Jahren.
Von der Spätantike bis zur boomenden Stahl- und Kohlezeit
Zu den zahlreichen großflächigen Ausgrabungen im Duisburger Stadtgebiet gehören das Mercatorquartier oder das Stadtfenster. Hier hatten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler neue Ergebnisse gesammelt, die in vielen Fällen nicht mit dem bisherigen Geschichtsbild übereinstimmen. Daher beginnt jetzt das Kooperationsprojekt „Genese des westlichen Ruhrgebiets“ des Lehrstuhls für Historische Archäologie an der Uni Kiel zusammen mit der Stadtarchäologie Duisburg.
Das Projekt beschreitet neue Wege in der Auswertung archäologischer Quellen. Die einzelnen Forschungsthemen zur Stadtentwicklung liegen für die Forschenden der Uni Kiel in vier Zeitscheiben mit Schwerpunkthemen:
Doktorand Johannes Reller wird sich in seiner Dissertation mit der Frage nach dem frühmittelalterlichen Königshof des Chlodio, Dispargum, sowie der Kontinuität von der Spätantike bis ins Hohe Mittelalter beschäftigen.
Doktorandin Sophie Rykena erforscht die Duisburger Kaiserpfalz und geht der Frage der Genese der Pfalz zur mittelalterlichen Stadt nach.
Doktorandin Karina Schnakenberg untersucht die spätmittelalterliche Hanse- und freie Reichsstadt Duisburg, wobei sie einen besonderen Blick auf den vermeintlichen Niedergang zur Ackerbürgerstadt legen wird.
Projektleiterin Dr. Maxi Maria Platz weitet in ihrer Arbeit den Untersuchungsraum auf das westliche Ruhrgebiet aus und stellt die Frage nach den Ursprüngen der Industrialisierung. Welche Voraussetzung gab es in der Region, welche die Wirtschaft so schnell und erfolgreich wachsen ließ wie im Ruhrgebiet des 19. Jahrhunderts. Sie koordiniert zugleich die Arbeiten der drei Doktorandinnen und Doktoranden.
Exzellenzcluster an Uni Kiel bringt Expertise
Das Kooperationsprojekt ist gleichzeitig eine Abkehr von traditionellen archäologischen Auswertungen. Diese erfassen meist Grabung für Grabung, Scherbe für Scherbe. Jetzt untersuchen die Forschenden einen weitaus größeren Kontext und können so greifbare Ergebnisse zur Genese und Ent-wicklung einer Stadt oder Siedlung liefern. Dieser Ansatz ist nicht nur für die Stadt Duisburg innovativ, sondern die Forschungen sind auch für den Exzellenzcluster ROOTS an der Uni Kiel von großer Bedeutung. Dort fügt es sich hervorragend in den Forschungsschwerpunkt zur antiken und mittelalterlichen Stadtentwicklung ein.
„Duisburg ist eine hochspannende Stadt“
Ulrich Müller, Professor für Historische Archäologie an der CAU, sieht in der Lage am Zulauf der Ruhr in den Rhein ein wesentliches Element der Entwicklung der Stadt: „Duisburg war über den Rhein und den mittelalterlichen Fernhandelsweg Hellweg über Nordwest- und Mitteleuropa sowie mit den großen Zentren an Nord- und Ostsee vernetzt.“ Duisburg sei eine hochspannende Stadt, um zu verstehen, wie Städte in der Vormoderne funktioniert haben. „Außerdem sollte eine Deurbanisierung in historischer Perspektive immer kritisch hinterfragt werden“, so Müller.
Solide Forschungsbasis für neuen Blick auf die Stadtgeschichte
Der Duisburger Stadtarchäologe Dr. Kai Thomas Platz hat in seinen Forschungen der letzten Jahre die vielen Widersprüche in der bisherigen Geschichtsdarstellung Duisburgs festgestellt und gemeinsam mit Prof. Dr. Ulrich Müller und Dr. Maxi Maria Platz das Projekt konzipiert. „Durch die drei Doktorandenprojekte und dem Forschungsprojekt der Projektleiterin werden sicher viele bisherige Annahmen zur Entwicklung Duisburgs und des umgebenden Raumes umgeworfen und das neue Bild auf eine wissenschaftlich solide Forschungsbasis gestellt. Wir sind alle stolz darauf, gemeinsam mit unseren Projektpartnern dieses anspruchsvolle Forschungsprojekt bei der DFG durchgebracht zu haben. Am Ende wird es auch dazu beitragen, den Duisburgerinnen und Duisburgern ein neues Verständnis über ihre historisch so bedeutende Stadt zu vermitteln.“