Die Beweise reichten für eine Verurteilung des 47-jährigen Christian B. wegen Vergewaltigung und sexuellen Missbrauchs von Kindern insgesamt nicht aus, sagte die Vorsitzende Richterin Uta Engemann bei der Urteilsverkündung am Dienstag.
Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hatte B. wegen mehrerer Sexualverbrechen angeklagt, die er zwischen 2000 und 2017 in Portugal an teils unbekannten Frauen sowie Kindern verübt haben sollte. Objektive Beweise wie Fingerabdrücke oder DNA gab es nicht. Die Anklage stützte sich vor allem auf Zeugenaussagen. Diese stufte die Kammer aber insgesamt als nicht glaubwürdig oder nicht ausreichend für eine Verurteilung ein.
Die Braunschweiger Ermittler betrachten B. auch als Mordverdächtigen im Fall der 2007 aus einem Ferienappartement in Portugal verschwundenen Maddie. Anklage erhoben sie deshalb bislang aber nicht, mit dem jetzigen Verfahren hatte das direkt nichts zu tun. Die Dreijährige verschwand, während ihre Eltern in einem Restaurant zu Abend aßen. Trotz großangelegter Fahndungen und zahlreicher Aufrufe ihrer Eltern wurde der Fall nie geklärt. Maddie blieb verschwunden.
Engemann betonte, dass auch B. trotz massiver „Vorverurteilung“ durch Staatsanwaltschaft und Medien Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren und eine unvoreingenommene Beweiswürdigung habe. Das Gericht müsse „die notwendige Objektivität“ wahren. Was dem Gericht an Beweisen vorgelegen habe, habe für eine Verurteilung schlicht nicht ausgereicht. Richter hätten einen Eid geschworen. „Diesen Eid nehmen wir sehr ernst“, sagte Engemann.
Die Verteidigung bezeichnete das Urteil als vorhersehbar. Es sei „keine Überraschung“ und entspreche dem von ihm erwarteten Ausgang des Verfahrens, sagte B.s Anwalt Friedrich Fülscher. „Die Beweislage war von Anfang an dürftig.“ Die Staatsanwaltschaft habe dies wegen eines ausgeprägten „Verfolgungswillens“ gegenüber B. aber nicht wahrhaben wollen. Vor diesem Hintergrund sehe er für gegebenenfalls später gegen B. erhobene Vorwürfe wegen des Verschwinden von Maddie ebenfalls „schwarz“.
Den gegen B. verhängten Untersuchungshaftbefehl hob das Gericht auf. Dies hat zunächst aber keine praktischen Auswirkungen, weil B. aufgrund einer rechtskräftigen Verurteilung wegen einer Vergewaltigung in einem anderen Fall noch bis September 2025 in Strafhaft sitzt. Diese Tat ereignete sich 2005 ebenfalls in Portugal.
Deutschen Ermittlern zufolge hielt sich der unter anderem wegen Sexualdelikten mehrfach vorbestrafte B. früher regelmäßig in den Feriengebieten an der Algarve auf, um Gelegenheitsarbeiten zu übernehmen sowie in Ferienanlagen und Hotels einzubrechen. B. lebte früher unter anderem in Braunschweig, daher ist das Landgericht dort nun für ihn zuständig.
Fülscher bekräftigte nach dem Freispruch, nun auch die frühere Verurteilung von B. wegen einer Vergewaltigung durch das Landgericht Braunschweig wieder aufrollen zu lassen. Im damaligen Strafverfahren seien Zeugen gehört worden, die nach heutigen Kenntnisstand gelogen hätten. Ein sogenanntes Wiederaufnahmeverfahren sei deshalb „zwingend“, sagte der Verteidiger.
Engemann sprach von einer „massiven Auto- und Fremdsuggestion“, der die im Prozess befragten Zeugen durch die Medienberichterstattung über den Angeklagten B. und die gegen ihn erhobenen Vorwürfe unterlegen seien. Scharf kritisierte sie unter anderem zwei Hauptbelastungszeugen, die aussagten, sie hätten Videoaufnahmen von B. bei zwei mutmaßlichen Vergewaltigungen gesehen. Die Videokassetten selbst wurden nicht gefunden.
Die Zeugen seien „nicht glaubwürdig“, einer von ihnen habe den Prozess gar als „Bühne“ genutzt und gegenüber B. „klare Belastungstendenzen“ gezeigt. Teils hätten sie Medien gegen Geld Interviews gegeben, fügte die Richterin an.
Der Freispruch entsprach der Forderung der Verteidigung. Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer 15 Jahre Haft und anschließende Sicherungsverwahrung gefordert. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft kündigte bereits an, Rechtsmittel einzulegen.
Im Fall einer weiteren Vergewaltigung hatte das Opfer selbst ausgesagt, B. etliche Jahre nach der Tat auf von Medien veröffentlichten Fotos anhand seiner Augen als Täter wiedererkannt zu haben. Darauf lassen sich eine Verurteilung nicht stützen, sagte Engemann. Direkte Beweise fehlten. Es gebe zwar keinen Zweifel daran, dass die Frau „Furchtbares“ erlebt habe, fügte sie an. Einen Freispruch könne und müsse der Rechtsstaat in solchen Fällen aber „aushalten“.
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