Die hohen Zinsen bremsen den Wohnungsbau in Deutschland weiterhin aus. Im ersten Halbjahr 2024 wurden nur 106.700 Wohnungen genehmigt, rund 21 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum, wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden am Freitag mitteilte. Im Juni lag die Zahl demnach bei 17.600 Genehmigungen – ein Rückgang um 19 Prozent im Vorjahresvergleich und um 42 Prozent im Vergleich zum Juni 2022. Eine Trendwende erwarten Experten erst, wenn die Zinsen spürbar sinken.
Im ersten Halbjahr 2024 gab es den größten Rückgang bei Einfamilienhäusern: Hier wurden 18.600 Häuser genehmigt, ein Rückgang um fast 31 Prozent im Vorjahresvergleich, wie das Statistikamt weiter mitteilte. Bei Zweifamilienhäusern betrug das Minus fast 15 Prozent, bei Mehrfamilienhäusern rund 21 Prozent.
„Das aktuelle Niveau der Baugenehmigungen entspricht nur etwas mehr als 200.000 neu gebauten Wohnungen pro Jahr“, erklärte der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung, Sebastian Dullien. Das ursprüngliche Ziel der Bundesregierung, dass jedes Jahr 400.000 neue Wohnungen in Deutschland entstehen sollen, liege für diese Legislaturperiode „in unerreichbarer Ferne“.
Größte Belastung seien die historisch starken Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB) in den vergangenen zwei Jahren. „Die Zinsen für zehnjährige Immobilienkredite hatten sich zeitweise von rund einem Prozent fast vervierfacht und liegen heute immer noch mehr als dreimal so hoch wie zum Tiefpunkt.“
Dullien erwartet eine Trendwende beim deutschen Wohnungsbau „frühestens im späteren Jahresverlauf 2025, wenn die EZB die Zinsen spürbar gesenkt hat und sich diese Zinssenkungen auch auf die Baunachfrage durchschlagen“. ,Die EZB hatte die Leitzinsen seit Juli 2022 wegen der ausufernden Inflation zehn Mal in Folge erhöht und sie von Oktober bis April 2024 auf hohem Niveau belassen. Inzwischen ist die Inflationsrate in der Eurozone wieder deutlich zurückgegangen, im Juni senkte die Zentralbank das Zinsniveau um 0,25 Prozentpunkte auf 4,25 Prozent. Wie es im September weitergeht, sei „völlig offen“, betonte EZB-Präsidentin Christine Lagarde.
Branchenverbände forderten die Politik auf, mehr gegen die Flaute im Wohnungsbau zu tun. „Die Ampel unterstreicht ihren Willen, günstigen Wohnraum zu schaffen. Der politische Wille allein baut aber noch keine einzige Wohnung“, erklärte der Geschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, Tim Oliver Müller. Immer neue staatliche Anforderungen und Vorgaben würden nicht helfen. Positiv hob Müller die „entschlackte“ Landesbauordnung Niedersachsens hervor – die anderen Bundesländer sollten „dringend“ diesem Beispiel folgen.
Auch der Zentralverband Deutsches Baugewerbe mahnte, Länder und Kommunen könnten den Wohnungsbau ankurbeln – die Landesbauordnungen seien „das schärfste Schwert“, um das Bauen zu vereinfachen. Niedersachsen habe eine „echte Blaupause“ für andere Länder vorgelegt, lobte Hauptgeschäftsführer Felix Pakleppa.
Er zählte auf: Grenzabstände wurden reduziert, wodurch Gebäude größer gebaut werden können. Auch die Pflicht, beim Wohnungsbau gleichzeitig Autostellplätze zu schaffen, fällt weg. Zudem sind die Möglichkeiten zum Dachgeschossausbau oder zur Aufstockung einfacher geworden. „Könnten wir in allen 16 Bundesländern so bauen, würden auch wieder mehr bezahlbare Wohnungen entstehen.“
Die Impulse der Bundesregierung dagegen seien „zu schwach“, um den Wohnungsbau wieder in Schwung zu bringen, kritisierte Pakleppa. Wegen der hohen Bauzinsen und strenger Energieanforderungen sei das Bauen für viele unerschwinglich geworden – „beziehungsweise es rentiert sich einfach nicht mehr“.
Der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) forderte einen „absoluten Abwägungsvorrang für den Bau von Wohnungen“, wie er für den Bau erneuerbarer Energiequellen eingeführt worden sei. Das Baugesetzbuch müsse entsprechend gestaltet werden.
„Mantraartig“ seit vielen Monaten fordert der GdW zudem ein Zinsprogramm für den bezahlbaren Wohnungsbau. „Ein Zinssatz von einem Prozent könnte die Bautätigkeit enorm ankurbeln und wieder garantierte, bezahlbare Mieten von zehn bis zwölf Euro pro Quadratmeter ermöglichen.“ Eine Zinssubvention auf ein Prozent wäre laut GdW für den Staat durch Steuermehreinnahmen infolge der wieder auflebenden Baukonjunktur kostenneutral.
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