Die gesetzlichen Mindestlöhne in der Europäischen Union sind zum Jahreswechsel kräftig gestiegen: Die 22 EU-Staaten mit einem allgemeinen Mindestlohn erhöhten diesen vor dem Hintergrund hoher Inflationsraten im Mittel um 9,7 Prozent, wie das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung am Donnerstag mitteilte. In Deutschland fiel die Anhebung mit einem nominalen Plus von 3,4 Prozent auf 12,41 Euro deutlich kleiner aus.
Absolut allerdings steht Deutschland mit 12,41 Euro Mindestlohn auf Rang vier in der EU. Ein noch höherer Mindestlohn wird in Luxemburg (14,86 Euro), den Niederlanden (13,27 Euro) und in Irland (12,70 Euro) gezahlt.
Das WSI kritisierte den „Mini-Zuwachs“ im vergangenen Jahr in Deutschland scharf. Die Forscher kritisierten, dass die zuständige Mindestlohnkommission in Deutschland von der EU vorgeschriebene Kriterien nicht umgesetzt habe und auch künftig nicht umsetzen werde. Sie wolle nur die im Mindestlohngesetz genannten Kriterien berücksichtigen.
Die EU-Mindestlohnrichtlinie nenne als Referenzgrößen für einen „angemessenen“ Mindestlohn unter anderem mindestens 60 Prozent vom Medianlohn im jeweiligen Land oder 50 Prozent vom Durchschnittslohn. Der Median ist der Wert, der Messwerte in zwei Hälften teilt.
Die Schwelle von 60 Prozent des Medians erreicht oder überschritten haben in der EU laut WSI Portugal, Slowenien und Frankreich. „Weitere Staaten orientieren sich bei Mindestlohnanhebungen aber bereits explizit an diesem Niveau“, schreiben die WSI-Autoren Malte Lübker und Thorsten Schulten.
Der Mindestlohn in Deutschland dagegen habe sich durch die geringfügige Anhebung und die Entwicklung des allgemeinen Lohnniveaus hingegen wieder von dieser Zielmarke entfernt und liege erheblich darunter. Das WSI erklärte, bereits 2023 wäre zur Erfüllung des 60-Prozent-Kriteriums ein Mindestlohn von 13,61 Euro nötig gewesen. Im laufenden Jahr hätte er demnach auf rund 14 Euro steigen müssen. Die Forscher forderten, die Regelungen der EU-Richtlinie „möglichst konkret und bindend“ in das deutsche Recht zu übertragen.
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