Gedenktag an Genozid von Sinti und Roma in Würzburg

4.300 Menschen fanden in der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 nach Auflösung des sogenannten „Zigeunerlagers“ Auschwitz-Birkenau in einer Mordaktion durch die SS den Tod. Die Stadt Würzburg hat den Toten am 2. August 2023, mit einer Kranzniederlegung gedacht.

Würzburg – Frauen, Kinder, Alte, Kranke, die arbeitsfähigen Insassen waren zuvor in andere Lager verschleppt worden. Die Gesamtzahl der Opfer des Porajmos wird auf 200.000 bis 500.000 geschätzt. In Würzburg sind 30 Opfer bekannt, nur vier haben nachweislich überlebt. Am Tag des internationalen Gedenkens an den Genozid an den Sinti und Roma, dem 2. August, gedachte auch Würzburg der Opfer mit einer Kranzniederlegung am Mahnmal am Paradeplatz.

„Wir erinnern heute an die Würzburger Sinti, die in Konzentrationslager deportiert wurden, darunter an jene, die in den Gaskammern ermordet wurden. Zugleich erinnern wir uns an alle, die zwischen 1933 und 1945 gedemütigt, gequält und Opfer des Holocaust wurden“, erklärte Silvana Schneeberger bei diesem Anlass – sichtlich berührt. Sie sprach für den Vorstand des Verbandes Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Bayern e.V.: „Ihrer aller erinnern wir uns, jedes Einzelnen der vielen, die durch Rassenwahn und den Terror des Nationalsozialismus um Leben, Frieden und ein persönliches Glück auf Erden gebracht wurden.“

Oberbürgermeister Christian Schuchardt benannte die Opfer: „Es waren Menschen, die sich nichts hatten zuschulden kommen lassen, deren Familien seit vielen Generationen in Deutschland lebten, die als Nachbarn, als Arbeitskollegen integriert waren, bis sie auf einmal nicht mehr dazu gehören durften.“ Schuchardt betonte aber auch: „Würzburgerinnen und Würzburger waren nicht nur Opfer. Sie haben geschwiegen und allzu oft mitgemacht. Würzburger waren Täter. Und Würzburg war Tatort.“ An der hiesigen Universitätsklinik wurden nicht nur Zwangssterilisationen und -abtreibungen durchgeführt, sondern im Rahmen der Zwillingsforschung des Dr. Werner Heyde auch Menschenversuche. Opfer dieser Zwillingsforschung seien auch, an sie erinnerte Schuchardt ausdrücklich, die Würzburgerin Theresia Winterstein und ihre Zwillingstöchter Rolanda und Rita gewesen. „Das Schicksal von Theresia Winterstein steht exemplarisch für das Grauen des Porajmos. Sie selbst wurde zwangssterilisiert und die Zwillinge, die sie noch hatte austragen dürfen, wurden ihr unmittelbar nach der Geburt weggenommen. Die kleine Rolanda starb nach pseudomedizinischen Experimenten, ihre Schwester Rita leidet bis heute unter den Folgen.“ An das unfassbare Verbrechen, das Theresia Winterstein, wie auch allen Sinti und Roma in der NS-Zeit widerfahren ist, erinnert in Würzburg nicht nur das Mahnmal am Paradeplatz, sondern auch die in diesem März vollzogene Benennung einer Straße nach Theresia Winterstein.

„Verfolgung und Massenmord waren das Resultat von Vorurteilen und Rassenwahn. Heute muss uns hochgradig beunruhigen, dass antiziganistische Vorurteile nach wie vor von vielen geteilt werden und viele Sinti und Roma in Umfragen von Diskriminierungserfahrungen berichten“, betonte Schuchardt. So habe die Dokumentationsstelle Antiziganismus 2022 allein in Berlin 372 antiziganistische Vorfälle dokumentiert, so viele wie noch nie: „Mehr als das Jahr Tage hat.“ Dabei ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. Serenada Schneeberger verwies in diesem Zusammenhang auf den Bericht der vom Deutschen Bundestag eingesetzten „Unabhängigen Kommission Antiziganismus“ UKA aus dem Jahr 2021. In dem Bericht wurde festgestellt, „dass Antiziganismus in Deutschland als Normalität gilt und als Normalität wahrgenommen wird, dass ein Bewusstsein und die Wahrnehmung für das Bestehen massiver Diskriminierungen von Sinti und Roma in nahezu allen Lebensbereichen fast vollständig fehlen.“ 78 Jahre nach Ende des Holocaust werde zudem, so Schneeberger, Antiziganismus bislang in offiziellen Polizeiberichten nur unzureichend dargestellt, da es bislang noch keine flächendeckende Erfassung antiziganistischer Vorfälle und Straftaten gebe. Eine der zentralen Handlungsempfehlungen aus dem Bericht der UKA sei daher die Forderung nach einem flächendeckenden Monitoring gewesen. In diesem März sei nun vereinbart worden, dass Mittel des Freistaates für die Einrichtung einer solchen, beim Landesverband angeschlossenen Monitoringstelle bereitgestellt werden. Am 21. Juli konnte mit finanzieller Unterstützung des Freistaats und des Bundesfamilienministeriums die neu geschaffene Landesmeldestelle Antiziganismus eröffnet werden. „Dies soll einen wichtigen Beitrag leisten, dass die Nachkommen der Überlebenden des Holocaust ohne Angst vor antiziganistischen Übergriffen in ihrem Heimatland Deutschland leben können“, so Schneeberger.

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