Wegen Schüssen auf Spezialeinsatzkräfte der Polizei hat das Oberlandesgericht Stuttgart einen Reichsbürger am Mittwoch wegen sechsfachen versuchten Mordes und weiterer Delikte zu 14 Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Die Richter kamen nach Gerichtsangaben zu dem Überzeugung, dass der Beschuldigte Ingo K. bei einer Razzia in seinem Wohnhaus im baden-württembergischen Boxberg im April vergangenen Jahres aus einer „staatsfeindlichen Gesinnung“ heraus mit einem illegalen militärischen Sturmgewehr auf Beamte gefeuert und einen von ihnen schwer verletzt hatte.
Demnach gab der zuvor durch Bedrohungen von Behördenmitarbeitern auffällig gewordene 55-Jährige mit der verbotenerweise in seinem Besitz befindlichen Militärwaffe zunächst 21 Schüsse durch einen geschlossenen Rollladen auf davor befindliche Spezialkräfte ab. Ein Polizist wurde in beide Beine getroffen, ein anderer entging Treffern in den Oberkörper nur wegen eines ballistischen Schutzschilds. Danach wechselte K. im Haus die Stellung und schoss unter anderem auf Beamte, die ihren verletzten Kollegen wegzogen.
Bei dem Angeklagten sei „ein eingeschliffener Hang zu schweren Straftaten und eine daraus resultierende Gefährlichkeit zwar nicht sicher feststellbar, aber als wahrscheinlich anzunehmen“, erklärte das Oberlandesgericht in seiner Urteilsbegründung. Es behielt deshalb ausdrücklich auch eine anschließende Sicherungsverwahrung nach Verbüßung der gegen K. verhängten Haftstrafe vor.
Im April 2022 hatte die Polizei einen Durchsuchungsbeschluss in der Wohnung des Angeklagten in einem landwirtschaftlichen Gehöft in Boxberg vollstreckt, das laut Gericht von mehreren Angehörigen der Reichsbürgerszene gemeinsam bewohnt und bewirtschaftet wurde. Ziel der Durchsuchung war demnach, eine von K. bislang legal besessene Pistole einzuziehen und zu beschlagnahmen.
Der Beschuldigte war nach Feststellungen des Gerichts in den Monaten zuvor durch konkrete Bedrohungen von Behördenmitarbeitern auffällig geworden und hatte darüber hinaus wiederholt Briefe an Ämter verschickt, in denen der die Existenz der Bundesrepublik Deutschland als Staat sowie die Gültigkeit ihrer Gesetze in Abrede stellte. Demnach gehörte er bereits seit 2016 zur Reichsbürgerszene und besaß unter anderem auch einen ihrer Scheinausweise.
Spätestens seit Mitte 2016 legte K. sich dem Gericht zufolge zudem illegal zahlreiche Schusswaffen samt Munition zu, darunter auch den bei der Tat verwendeten Nachbau eines Sturmgewehrs des Typs Kalaschnikow. Demnach war er fest entschlossen, diese bei einer Razzia gegen Repräsentanten des Staats einzusetzen und lagerte die meisten davon „geladen und sofort zugriffsbereit“ in den von im bewohnten Räumlichkeiten auf dem Bauernhof.,Die Bundesanwaltschaft plädierte in dem Verfahren auf lebenslange Haft und anschließende Sicherungsverwahrung. Die Verteidigung forderte Freispruch und begründete dies mit einer psychischen Ausnahmesituation ihres Mandanten.
Das etwaige Vorliegen einer Notwehrsituation verneinte das Oberlandesgericht in seinem noch nicht rechtskräftigen Urteil. Der Durchsuchungsbeschluss sei rechtmäßig ergangen und dessen Umsetzung „nicht zu beanstanden“. Auch habe der Beschuldigte aufgrund laut vernehmbarer Rufe der Einsatzkräfte und des Blaulichts erkannt, dass es sich um einen Polizeieinsatz mit dem Ziel der Durchsuchung seiner Wohnung gehandelt habe. „Dies wollte er ganz wesentlich aus seiner staatsfeindlichen Gesinnung heraus um jeden Preis verhindern.“
Insgesamt gab der Angeklagte laut Urteil während der morgendlichen Razzia am 20. April vergangenen Jahres 45 Schüsse auf die Einsatzkräfte und ihre teilweise gepanzerten Fahrzeuge ab, vier Kugeln schlugen in der Wand eines benachbarten Wohnhauses ein. Durch von den Polizeispezialkräften gezündete Nebelgranaten geriet ein Carport in Brand, die Flammen griffen auch auf das Haus über.
Nach etwa zwei Stunden nahm K. von sich aus über den Notruf Kontakt zur Polizei auf, verließ das brennende Haus nach mehreren Telefonaten und wurde unverletzt festgenommen. Ein Richter ordnete noch am selben Tag Untersuchungshaft an. In dem Gebäude wurden nach Angaben der Ermittler später dann seine Schusswaffen und mehr als 5000 Schuss Munition gefunden.
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