Frühere Cum-Ex-Chefermittlerin fordert bessere Bekämpfung von Finanzkriminalität

Die neue Geschäftsführerin der Organisation Finanzwende und ehemalige Chefermittlerin im Cum-Ex-Steuerskandal hat eine bessere Bekämpfung der Finanzkriminalität in Deutschland gefordert.

Die neue Geschäftsführerin der Organisation Finanzwende und ehemalige Chefermittlerin im Cum-Ex-Steuerskandal hat eine bessere Bekämpfung der Finanzkriminalität in Deutschland gefordert. Dafür müssten die Justiz besser ausgestattet und die Finanzlobby zurückgedrängt werden, sagte Anne Brorhilker am Dienstag in Berlin. Auch müsse dafür gesorgt werden, dass Steuerbetrug in Millionenhöhe nicht sanfter behandelt werde als Sozialbetrug.

„Finanzkriminalität wird in Deutschland noch zu häufig als Kavaliersdelikt angesehen“, sagte Brorhilker. Dabei gehe es um Milliarden, „die uns allen fehlen, und die wir endlich zurückholen müssen“. Ein Beispiel dafür seien die sogenannten Cum-Cum-Geschäfte. Diese Geschäfte hätten bis 2021 einen Schaden von geschätzt 28,5 Milliarden in Deutschland verursacht – fast dreimal mehr als bei Cum-Ex.

In der Praxis funktioniert das so: Unternehmen, die ihren Sitz in Deutschland haben, oder Menschen die dort leben, können sich die Kapitalertragsteuer zurückerstatten lassen. Steuerausländer, also Staatsfonds oder ausländische Versicherer, dürfen das hingegen nicht. Deshalb werden in den Cum-Cum-Geschäften deutsche Aktien, die im Ausland gehalten werden, für den Zeitpunkt der Dividendenauszahlung an deutsche Banken übertragen, wie Finanzwende erklärt. Nach der Ausschüttung gingen die Aktien wieder zurück an den ursprünglichen Besitzer, die Steuerrückerstattung werde dann unter den Beteiligten aufgeteilt.

„Seit 2015 ist unzweifelhaft klar, dass die Geschäfte steuerrechtlich nicht in Ordnung sind“, sagte Brorhilker. Das Nicht-Handeln der Behörden schade dem Vertrauen in den Rechtsstaat. Grund für die teilweise ausbleibende strafrechtliche Verfolgung sei auch der Einfluss der Finanzlobby. „Das ist eine große, sehr gut vernetzte Branche, die ein großes Interesse daran hat, effektive Kontrollen und Strafverfolgung zu verhindern, und die damit durchkommt“, sagte die neue Finanzwende-Geschäftsführerin.

Dabei nimmt Brorhilker auch Bezug auf mehrere Schreiben des Bundesfinanzministeriums aus den Jahren 2016 und 2017, „auf deren Grundlage die illegalen Profite aus Cum-Cum-Geschäften den Banken zum größten Teil belassen wurden“, wie Finanzwende erklärt. Dieser Schritt sei erst 2021 unter dem damaligen Finanzminister Olaf Scholz (SPD) korrigiert worden. Bis heute sei unklar, wie die Schreiben genau zustande kamen.

Kritik äußerte Finanzwende-Vorstand Gerhard Schick auch an der aktuellen Regierung. „Die Maßstäbe sind völlig schief geworden“, sagte er. Während Sozialbetrug, beispielsweise beim Bürgergeld, breit diskutiert werde, verliere Finanzminister Christian Lindner (FDP) über „illegale Gewinne“ in Milliardenhöhe „kein einziges Wort“. Dabei sei das auch vor dem Hintergrund der Haushaltsdiskussionen ein wichtiges Thema.

Zudem seien die Beschuldigten im Bereich Finanzkriminalität „regelmäßig finanziell exzellent ausgestattet“, wie Brorhilker in einem Newsletter Anfang Juli schrieb. Oftmals würden Ermittlungen gegen Geldzahlungen eingestellt und der verursachte Schaden sei dann oft größer als die Summe, die für die Einstellung aufgebracht werden muss.

Bis Ende 2022 wurden nach Angaben von Finanzwende 237 Millionen Euro aus Cum-Cum-Geschäften rechtskräftig zurückgeholt. Fälle mit einem Volumen von sechs Milliarden Euro werden demnach aktuell durch die Behörden geprüft.

Brorhilker ist seit Juni als Geschäftsführerin bei Finanzwende tätig. Zuvor ermittelte sie als Staatsanwältin im Cum-Ex-Skandal, bei dem gegen mehr als 1700 Beschuldigte ermittelt wird. Sie hatte zu Ende Mai gekündigt und den Justizdienst verlassen. Cum-Ex und Cum-Cum-Geschäfte sind eng miteinander verzahnt, sagte Brorhilker.

Bei Cum-Ex erstattete der Staat eine nur einmal gezahlte Kapitalertragsteuer mehrfach zurück. Die Praxis war seit Anfang der 2000er Jahre bei vielen Banken im In- und Ausland üblich. Erst 2021 bestätigte der Bundesgerichtshof die Strafbarkeit solcher Geschäfte.
© AFP

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