Steinfurt unterzeichnet Solidaritätspartnerschaft mit Tscherkassy

Der Kreis Steinfurt ist eine Solidaritätspartnerschaft mit der ukrainischen Stadt Tscherkassy eingegangen.

Steinfurt – Langgezogenes Sirenenheulen schallt durch das Büro des Landrates. Die Mitarbeiterinnen im Vorzimmer zucken erschrocken zusammen. Doch der Landrat kann sie beruhigen. „Das ist noch die Warn-App aus der Ukraine“, informiert Dr. Martin Sommer nach einem kurzen Blick auf sein Smartphone. Auf dem Display erscheint eine Warnung: „Luftalarm in Kiew“. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Steinfurter Kreishaus besteht also keine Gefahr. Doch die Nachricht, dass in der ukrainischen Hauptstadt gerade Raketen einschlagen und womöglich Menschen sterben, sorgt für betroffenes Schweigen. Erst vor wenigen Tagen ist der Kreis Steinfurt offiziell eine Solidaritätspartnerschaft mit der Stadt Tscherkassy eingegangen. In Kiew, nicht einmal drei Stunden mit dem Auto entfernt, traf man sich zur Unterzeichnung der Urkunde. Und plötzlich ist die Ukraine, obwohl so weit entfernt, sehr, sehr nah.

Sommer reiste gemeinsam mit Bevölkerungsschutzdezernent Dr. Karlheinz Fuchs relativ spontan nach Kiew, um dort am „2. Internationalen Gipfel der Städte und Regionen“ teilzunehmen. Eingeladen worden waren die beiden von Offiziellen der Stadt Tscherkassy, die die Chance nutzen wollten, um der Solidaritätspartnerschaft, die bereits seit einiger Zeit in loser Form besteht, nun auch offiziell Brief und Siegel zu geben.

Eine Partnerschaft zwischen Städten oder Kreisen wächst und gedeiht normalerweise durch die Menschen, die sie mit Leben füllen. Mit Tscherkassy und dem Kreis Steinfurt verhält es sich ein bisschen anders. Auf Verwaltungsebene wurden im vergangenen Jahr durch die gute Vernetzung der Rotary-Clubs in Steinfurt und Tscherkassy erste Kontakte geknüpft. Im März dieses Jahres folgte der Beschluss des Kreistages zu einer Solidaritätspartnerschaft mit der ukrainischen Stadt.

Hier stand zunächst die Lieferung von Hilfsgütern im Fokus. Um den Menschen in Tscherkassy effektiv helfen zu können, bewarb der Kreis Steinfurt sich bei einem Förderprogramm der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) – und erhielt den Zuschlag. Erste Hilfslieferungen gingen bereits im Sommer in Richtung Ukraine, es folgten Weitere. Große Unterstützung bekam der Kreis Steinfurt dabei von der DHL im Steinfurter Gewerbegebiet Sonnenschein, auf deren Gelände die Hilfsgüter lagerten. Zusammen mit der DHL organisierte die Kreisverwaltung den Transport der Ausstattung für drei Klassenzimmer sowie eine Kücheneinrichtung für die gleichzeitige Essensausgabe von circa 500 Portionen. Die unkomplizierte logistische Unterstützung durch die DHL habe vieles ganz einfach gemacht, ist Martin Sommer dankbar. Schließlich sei es aus bekannten Gründen derzeit äußerst schwierig, ein Logistikunternehmen zu finden, das Lieferungen in die Ukraine übernehme. Das Förderprogramm soll übrigens für 2024 neu aufgelegt werden und der Kreis hat hierzu erneut eine Zusage erhalten. Weitere Unterstützung für die Menschen in Tscherkassy ist somit gesichert.

Doch der Kreis Steinfurt sieht sich in dieser Verbindung nicht nur als reiner Geldgeber. Der Landrat möchte die bestehende Solidaritätspartnerschaft mit Leben füllen. Auch deshalb folgte er der Einladung aus Tscherkassy und nahm die 72-stündige Dienstreise auf sich. Sie hinterließ sowohl beim Landrat als auch beim Bevölkerungsschutzdezernenten tiefen Eindruck. „Im persönlichen Kontakt war die tiefe Dankbarkeit, die uns entgegengebracht wird, noch sehr viel deutlicher zu spüren“, erzählt Sommer von den Begegnungen mit den Menschen aus Tscherkassy. Gänzlich berührt zeigt er sich von einer Geste des Bürgermeisters: Anatolii Bondarenko verlieh dem Landrat für besondere Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung den höchsten Orden der Stadt. Sommer nahm ihn stellvertretend für viele Initiativen im Kreis wie auch die Kreispolitik entgegen. Mit Blick auf das große Leid in der Ukraine kämen die Hilfslieferungen aus dem Kreis Steinfurt wohl nur dem bekannten Tropfen auf den heißen Stein gleich. Dennoch seien sie wichtig. „Im Rahmen unserer Möglichkeiten stehen wir der ukrainischen Bevölkerung in dieser schwierigen Zeit bei“, stellt der Landrat klar.

Alle Beteiligten nutzten die persönliche Begegnung für Gespräche und den Austausch. Tscherkassy erhoffe sich durch die Solidaritätspartnerschaft eine engere Anbindung an Europa, berichten Sommer und Fuchs. Die Stadt wünsche sich beispielsweise einen Ärzteaustausch. Jede Woche müssen in Tscherkassys größtem Krankenhaus bis zu 1.000 schwerstverletzte Soldaten behandelt werden. Amputationen gehören zum Alltag. Doch es fehlt an Prothesen. Der Kreis Steinfurt möchte an dieser Stelle Unterstützung anbieten und steht dazu in Kontakt mit Prothesenbauern und Krankenhäusern. Denkbar wäre beispielsweise ein zehnmonatiger Schnelllehrgang für Prothesenbauer aus Tscherkassy im Kreisgebiet. Eine weitere Idee dreht sich um Schüleraustauschprogramme.

„Die Ukraine kämpft ein Stück weit auch für Europa“, macht Karlheinz Fuchs deutlich. Die Menschen in Tscherkassy und der Ukraine fühlten sich als Europäerinnen und Europäer. „Sie wollen einfach nur in Frieden und Freiheit leben“, ergänzt Martin Sommer. Wann das wieder möglich sei, könne derzeit niemand abschätzen. Umso wichtiger seien Partnerschaften wie ebene jene des Kreises Steinfurt mit Tscherkassy. Denn sie bringen die Menschen in Europa näher zusammen – auch wenn zwischen ihnen gut 2.000 Kilometer liegen-

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