Führende Vertreter von Grünen, FDP und SPD haben sich für eine Aufarbeitung des Umgangs mit der Corona-Pandemie ausgesprochen. Vize-Kanzler Robert Habeck (Grüne) sagte der „Bild“-Zeitung vom Mittwoch, die Politik müsse den Mut haben, Lehren zu ziehen und Abläufe und Auswirkungen der damaligen Pandemie-Maßnahmen zu überprüfen. Es gehe dabei nicht um Schuldzuweisungen, sondern darum, aus Erfahrung zu lernen.
Habeck räumt ein, dass sich die Große Koalition aus Union und SPD während der Pandemie in einer schwierigen Lage befand. Sie habe „in einer nie gekannten Situation auf schwankendem Boden schnell tiefgreifende Entscheidungen treffen“ müssen, sagte der Bundeswirtschaftsminister. „Sicherlich sind da auch Fehler passiert, aber genauso wäre es ein Fehler gewesen, nicht zu entscheiden.“
FDP-Chef Christian Lindner verlangte eine umfassende Analyse der politischen Entscheidungen in der Corona-Zeit. „Wir müssen die Pandemie aufarbeiten, um die richtigen Schlussfolgerungen für die Zukunft ziehen zu können“, sagte der Bundesfinanzminister dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vom Mittwoch. „Heute wissen wir, dass viele Entscheidungen der früheren Bundesregierung großen sozialen und wirtschaftlichen Schaden angerichtet haben.“ Er verwies auf „Schulschließungen, Kontaktbeschränkungen, Ausgangssperren und Zutrittsverbote“.
Dies seien „zum Teil absolut unverhältnismäßige Eingriffe in die Freiheitsrechte“ gewesen, sagte Lindner. Die FDP setze sich deshalb dafür ein, „dass sich eine Enquete-Kommission des Bundestags mit der Aufarbeitung der Pandemie befasst“. Forderungen nach einem Untersuchungsausschuss wies Lindner zurück. Er könne „zur parteipolitischen Profilierung missbraucht“ werden. „Mir geht es aber nicht darum, Entscheider anzuklagen“, sagte er. „Eine transparente Aufarbeitung könnte Verschwörungstheoretikern und Querdenkern den Wind aus den Segeln nehmen.“
Auch aus der SPD kamen vier Jahre nach Beginn der Pandemie Rufe nach einer Analyse des Vorgehens. „Ich halte eine Aufarbeitung – in welcher Form auch immer – für wichtig“, sagte die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD), dem Portal t-online. Ziel müsse es sein, „für die Zukunft zu lernen“. Zudem gehe es darum, „den Riss zu kitten, der zwischen Befürwortern und Gegnern der Corona-Maßnahmen entstanden ist“.
Die Debatte um eine Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen war durch jüngst veröffentlichte Protokolle des Robert-Koch-Instituts ausgelöst worden. Sie geben Einblicke in die Arbeit des Krisenstabs aus der Zeit von Januar 2020 bis April 2021. Juristisch durchgesetzt worden war die Herausgabe der Protokolle durch das Online-Magazin „Multipolar“.
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