Nach den tagelangen Protesten der Landwirte rückt nun die Internationale Grüne Woche die Themen Ernährung und Landwirtschaft in den Fokus: Die Spitzen der Agrar- und Lebensmittelindustrie nutzten den Auftakt in Berlin für eine Breitseite gegen die Regierungspolitik und kritisierten etwa die Ernährungsstrategie der Bundesregierung. Diese präsentierte Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) am Mittwoch – unklar war zunächst, wie die Maßnahmen finanziert werden sollen.
„Wir brauchen eine Veränderung der Politik“, sagte der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, bei der Eröffnungspressekonferenz der Grünen Woche in Berlin. Offiziell startet die Messe am Freitag. Gespräche über die vorgeschlagene Tierwohlabgabe zur Unterstützung der Landwirte lehnte Rukwied ab und beharrte stattdessen mit Nachdruck auf der Rücknahme der angekündigten Streichung der Agrardieselsubvention. Dies war einer der Hauptgründe für die tagelangen Bauernproteste im ganzen Land.
Diese „unsägliche Steuererhöhung“ müsse vom Tisch, forderte der DBV-Präsident. Andernfalls „werden weitere Maßnahmen folgen, dann werden die Bauern und Bäuerinnen wieder auf die Straße zurückkehren“. Erst wenn die Diesel-Frage geklärt sei, könne über andere Maßnahmen wie ein Tierwohlabgabe gesprochen werden. Özdemir hatte als Ausgleich für die Subventionskürzung vorgeschlagen, mit einem Aufschlag auf tierische Produkte die Landwirte beim Umbau ihrer Ställe zu unterstützen.
Der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), Christoph Minhoff, warf Özdemir eine Politik der „ideologisch unterfütterten Bevormundung“ vor. Zudem erlebe er seit zwei Jahren, dass Özdemirs öffentliche Äußerungen am Ende nicht mit den konkreten Schritten seines Ministeriums übereinstimmten.
Minhoff verwies unter anderem auf die Ernährungsstrategie der Regierung, die eine gesündere Ernährung in Kitas und Kantinen und weniger Fett, Zucker und Salz in verarbeiteten Lebensmitteln vorsieht. Die Regierung versuche der Industrie „detaillierte Vorschriften in ihrem Kerngeschäft zu machen“, sagte der Unternehmervertreter dazu. Mit immer höheren Auflagen treibe sie die Betriebe ins Ausland.
Das Angebot für gesunde, ökologisch produzierte und vegetarische Lebensmittel gebe es in deutschen Supermärkten bereits, fügte der BVE-Chef hinzu. Die Nachfrage halte sich aber in Grenzen. Die Regierung könne nicht den Verbrauchern vorschreiben, was sie kaufen sollen, und den Landwirten vorschreiben, dass sie Produkte produzieren, die nicht gekauft werden.
Landwirtschaftsminister Özdemir präsentierte die Ernährungsstrategie der Regierung am Mittwoch: „Leckeres, gesundes und nachhaltiges Essen darf nicht vom Geldbeutel abhängen oder davon, aus welcher Familie man kommt“, sagte er dazu. Festgeschrieben sind mehrere Ziele, darunter eine Verbesserung der Gemeinschaftsverpflegung, die Reduzierung von Lebensmittelverschwendung, sowie mehr pflanzliche und ökologisch produzierte Lebensmittel.
Für ein vielseitigeres Essen in Schulen und Kitas sollen etwa verbindliche Standards sowie Schulküchen und Trinkwasserspender gefördert werden, außerdem soll es verbindliche Ziele entlang der Lebensmittelkette geben, um Verschwendung zu reduzieren. Ziel ist es außerdem, die an Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt einzuschränken.
Der AOK-Bundesverband, Foodwatch und die Deutsche Umwelthilfe begrüßten zwar die Richtung, beklagten aber, dass die Strategie wenig konkrete Maßnahmen enthalte. Der FDP-Agrarpolitiker Gero Hocker sprach von einem „Sammelsurium aus Absichtserklärungen und Prüfaufträgen“ – er werde sich im parlamentarischen Prozess „jeder Bevormundung der Landwirtschaft als auch der Verbraucher entgegenstellen“. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) gab zu bedenken, dass wegen der hohen Lebensmittelpreise viele beim Essen sparen müssten und forderte, die Pläne „entsprechend finanziell“ zu hinterlegen.
Das jedoch ist noch unklar: „Die endgültige Finanzierung steht dazu noch nicht fest“, sagte ein Sprecher des Landwirtschaftsministeriums. Derzeit gehe es um die inhaltliche Ausgestaltung der Strategie, an „entsprechender Stelle“ würden die Maßnahmen dann „finanziell unterlegt“. Ein Sprecher des Finanzministeriums ergänzte, die der Strategie folgenden konkreten Maßnahmen würden „im Rahmen der üblichen Haushaltsberatungen festgelegt“.
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