Bundesverfassungsgericht: Kein Anspruch von AfD auf Vorsitz von Bundestagsausschüssen

Die AfD hat im Bundestag keinen Anspruch darauf, Vorsitze in Ausschüssen zu übernehmen.

Dass ihre Kandidaten nach der Bundestagswahl 2021 nicht zu Vorsitzenden gewählt wurden, verletzt die Rechte der AfD-Fraktion nicht, wie das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Mittwoch entschied. Den Fraktionen stehen die Positionen demnach nicht automatisch zu. (Az. 2 BvE 1/20 und 2 BvE 10/21)

Zwei Organklagen der AfD-Fraktion scheiterten damit. Die Vorsitzenden der Bundestagsausschüsse spielen eine wichtige Rolle im parlamentarischen Alltag. Sie bereiten die Ausschusssitzungen vor, berufen sie ein und leiten sie. Außerdem repräsentieren sie die Ausschüsse häufig in der Öffentlichkeit.

Jahrzehntelang lief die Besetzung der Vorsitzendenposten weitgehend reibungslos. Nach dem erstmaligen Einzug der AfD in den Bundestag 2017 änderte sich das. Ende 2019 kam es zu einem bis dahin einmaligen Vorgang. Der Vorsitzende des Rechtsausschusses, der AfD-Politiker Stephan Brandner, wurde abgewählt.

Das passierte nach mehreren umstrittenen Aussagen Brandners in den sozialen Netzwerken, die für Empörung sorgten und als antisemitisch wahrgenommen wurden. Beispielsweise nannte er das Bundesverdienstkreuz für den Sänger Udo Lindenberg einen „Judaslohn“. Nach der Abwahl Brandners wandte sich die AfD-Fraktion an die Verfassungsrichterinnen und -richter.

Im zweiten Fall, über den das Gericht zu entscheiden hatte, wurden die AfD-Kandidaten gar nicht erst gewählt. Die parlamentarische Geschäftsordnung sieht vor, dass die Ausschüsse die Vorsitzenden und ihre Stellvertreter nach den Vereinbarungen im Ältestenrat bestimmen.

Wenn sich die Fraktionen nach einer Bundestagswahl nicht einigen können, kommt das sogenannte Zugriffsverfahren zum Tragen. Dann dürfen die Fraktionen reihum, der Größe nach, auf die Ausschussvorsitze zugreifen. Nach der Bundestagswahl 2021 aber kam es zu einem weiteren Novum im Parlament: Nachdem die Fraktionen im Zugriffsverfahren Anspruch auf verschiedene Ausschussvorsitze erhoben hatten, wurde in jedem Ausschuss eine geheime Wahl beantragt.

Die Kandidaten der AfD für die Vorsitze im Innen-, Gesundheits- und Entwicklungsausschuss fielen dabei durch. Die Ausschüsse werden seitdem vorläufig von den stellvertretenden Vorsitzenden geleitet. Auch deswegen zog die AfD-Fraktion nach Karlsruhe.

Beide Organklagen hatten aber nun keinen Erfolg. Solche Wahlen seien erlaubt und im Rahmen der Autonomie des Parlaments, erklärte das Verfassungsgericht. Zwar müssten Ausschüsse die Zusammensetzung des Bundestags spiegeln, wenn sie Aufgaben des Plenums übernähmen oder dessen Entscheidungen vorbereiteten.

Das gelte aber nicht für organisatorische Funktionen, sagte Gerichtsvizepräsidentin Doris König bei der Urteilsverkündung. Das Grundgesetz begründe „keinen Anspruch auf Zugang zu solchen Leitungsämtern, bei denen es nicht zur inhaltlichen Vorformung der parlamentarischen Willensbildung kommt“.

Ausschüsse dürften die Entscheidung über ihre Vorsitzenden selbst treffen und dazu eine freie Wahl abhalten. Die Fraktionen hätten nicht das Recht, die Vorsitzenden zu bestimmen. Es sei auch legitim, einen Vorsitzenden abzuwählen.

Brandner sagte nach dem Urteil, es sei ein „schwarzer Tag für den Parlamentarismus“. Mehrheiten könnten sich ändern, und „der ein oder andere von der jetzigen Mehrheit muss sich wahrscheinlich demnächst daran gewöhnen, dass auch seine Ausschussvorsitzenden mit absurden Erklärungen“ nicht gewählt würden.

Erfreut zeigten sich dagegen Vertreterinnen und Vertreter anderer Parteien. Der amtierende Vorsitzende des Innenausschusses, Lars Castellucci (SPD), erklärte: „Das Bundesverfassungsgericht stärkt mit seinem Urteil das Parlament und die Rechte der Abgeordneten, selbst darüber zu entscheiden, wer zum Ausschussvorsitzenden gewählt wird und wer nicht.“

Ähnlich äußerte sich Kirsten Kappert-Gonther (Grüne), die derzeit den Gesundheitsausschuss leitet, in der „Rheinischen Post“. Das Urteil stärke das Parlament und „die Rechte jedes einzelnen Abgeordneten“, sagte sie.

„Niemand kann gezwungen werden, Abgeordnete einer Partei in Ämter zu wählen, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wurde“, erklärte der amtierende Vorsitzende des Entwicklungsausschusses, Christoph Hoffmann (FDP).,Für die Unionsfraktion forderte ihr parlamentarischer Geschäftsführer Thorsten Frei (CDU) in der „Rheinischen Post“, die AfD solle „die selbstgewählte Opferrolle endlich ablegen“.
© AFP

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